Mittwoch, 25. Oktober 2023

Update zu den Tyne Turrets

Das Kuriosum Tyne Turrets, von dem ich geglaubt hatte, es in einem kurzen Beitrag abhandeln zu können, hat sich mittlerweile doch als komplexer erwiesen, als ich zunächst erwartet hatte.

Ausgangspunkt für meine weitere Beschäftigung damit waren widersprüchliche Aussagen über die Bewaffnung: Manche Quellen, u.a. Wikipedia, sprechen von einem Geschütz pro Batterie, andere hingegen von je einem kompletten Illustrious-Geschützturm pro Batterie. Um dieser Sache auf den Grund zu gehen, besorgte ich mir die Pläne beider Batterien.

Natürlich interessierte mich auch, was aus beiden Batterien geworden ist und was es heute noch zu sehen gibt.

Hier die Ergebnisse meiner Recherchen.

1. Historie

Der Tyne hatte im 1. Weltkrieg eine besondere strategische Bedeutung, einerseits wegen des ansässigen Schiffsbaus – viele Kriegsschiffe wurden dort konstruiert und repariert -, andererseits wegen seiner Bedeutung im Export von kriegswichtiger Kohle.

Bereits 1899 hatte man in Tynemouth und South Shields mit dem Bau moderner Verteidigungsanlagen begonnen: 2 Batterien für 2 x 6-Zoll- und 1 x 9.2-Zoll-Geschütze wurden 1903 fertiggestellt (Tynemouth Castle nördlich der Tynemündung und Frenchman’s Point Battery südlich der Mündung). Zusätzlichen Schutz sollte die Spanish Battery unterhalb von Tynemouth Castle bieten, die mit 2 x 6-Zoll- und 2 x 12-Pfünder-Schnellfeuergeschützen vor allem Torpedoschnellboote bekämpfen sollte. Cliffords Fort, eine Batterie aus dem 17. Jahrhundert, wurde zu einem Seeminendepot und dem Hauptquartier der Tyne Electrical Engineers, die für die Suchscheinwerfer zuständig waren.

Zu Beginn des ersten Weltkriegs waren diese Einrichtungen unverändert im Einsatz.

Am 17. Dezember 1914 griff die Kaiserliche Flotte in einem Überraschungsangriff die Städte Scarborough, Whitby und Hartlepool an der britischen Nordostküste an. Es entstand großer Schaden, wohingegen die Kaiserliche Flotte nur marginal beschädigt wieder nach Deutschland zurückkehren konnte. Die Schiffe befanden sich außer Reichweite der meisten Küstengeschütze; wollte man möglichen zukünftigen Angriffen dieser Art wirkungsvoller begegnen, musste die Verteidigung der britischen Nordostküste schnell und deutlich verbessert werden.

Die schnellste Lösung bestand in einer „Standing Patrol“, also der ständigen Präsenz britischer Kriegsschiffe vor der britischen Nordostküste. Ihre Operationsbasis war das schottische Rosyth. Eins dieser Schiffe war übrigens die HMS Illustrious, die ab August 1914 als Guardship im Loch Ewe eingesetzt worden war und ab November des gleichen Jahres den Tyne schützen sollte.


Im weiteren Verlauf des Krieges zeigte sich allerdings, dass diese Schiffe zu dringend anderweitig gebraucht wurden, wodurch das Prinzip der Standing Patrols nicht länger aufrechterhalten werden konnte. Im Oktober 1916 begann man mit der Suche nach einer Alternative, die im Februar 1917 gefunden und beschlossen wurde. Der Plan bestand darin, die beiden 12-Zoll-Geschütztürme der HMS Illustrious, die ab dem 26. November 1915 entwaffnet worden war und seit 1916 als Munitionslagerschiff diente, an Land zur Küstenverteidigung zu installieren. Hier ein Geschützturm der Illustrious von innen:

Quelle: Wikipedia

Jeweils ein Standort nördlich und südlich des Tyne wurde ausgewählt, und die Bauarbeiten begannen umgehend:

  • Die nördliche Batterie („Roberts Battery“) wurde ca. 400 Meter östlich des heutigen Hartley in der Nähe von Crag Point errichtet.
  • Die südliche Batterie („Kitchener Battery“) entstand 600 Meter westlich vom Souter Lighthouse, Marsden.

Da die Geschütztürme mit jeweils 184 Tonnen Gewicht erheblich schwerer waren als fast alles, was bis dato in Küstenbatterien installiert worden war, mussten die Batterien nach völlig neuen Gesichtspunkten geplant und gebaut werden. (Anmerkung: Die extrem schwere Bewaffnung der Tyne Turrets wurde damals nur vom Admiralty Pier Turret im Hafen von Dover übertroffen, einem geschlossenen Panzerturm mit  zwei 16-Zoll 80-Tonnen-Geschützen, der 1882 auf der westlichen Mole des Hafens von Dover errichtet worden war.)

Entsprechend groß dimensioniert war die unterirdische Batterieanlage beider Geschütztürme: Auf einer Fläche von ca. 48m x 56m waren Lagerräume für Material und Munition, Maschinenräume, Schutzräume für die Besatzung und vor allem ein entsprechend dimensionierter Unterbau für den Geschützturm selbst vorgesehen; alleine für diesen Unterbau wurde eine 12 Meter tiefe Grube von 36,5 x 27,5 Metern ausgehoben. Aus den Plänen der beiden Batterien konnte ich eine Wanddicke von ca. 2,30 Metern Stahlbeton für den Geschützbrunnen ermitteln.

Sowohl der finanzielle als auch der Arbeitsaufwand für die Batterien war gigantisch, gerade zu Kriegszeiten, wo qualifizierte Arbeitskräfte sowieso rar waren. So verwundert es nicht, dass beide Batterien bis Kriegsende nicht fertiggestellt waren. Dazu mehr in den Einzelbetrachtungen.

Noch ein paar Worte zur Koordination und Lenkung der Tyne Turrets: Um Ihren Zweck, die Verteidigung der Tyne-Mündung, zu erfüllen, mussten die Aktivitäten beider Batterien natürlich exakt koordiniert sein. Idealerweise sollte eine koordinierende Instanz möglichst genau mittig zwischen beiden Batterien eingerichtet werden. Der bereits beschriebene Feuerleitstand erfüllte diese Bedingung ideal. Er lag exakt mittig in jeweils ca. 6,75 Kilometern Entfernung zwischen beiden Batterien, hatte ungehinderte Sicht auf das Vorfeld der Tyne-Mündung und auch Sichtverbindung zu beiden Batterien, was zu Zeiten, wo Informationen immer noch hauptsächlich auf optischem Weg (Flaggen, Lichtsignale) übermittelt wurden, ein großer Vorteil war.

Bei dem Geschütz auf dem Dach des Feuerleitstands dürfte es sich um eine Flugabwehrkanone gehandelt haben, wohl als Reaktion auf deutsche Zeppelin-Angriffe, die mit der Bombardierung der Region um Norfolk am 19. Januar 1915 durch die Luftschiffe L3, L4 und L6 begonnen hatten.

(© Open Street Maps Mitwirkende)

Nun zu den beiden Batterien.

2. Die Kitchener Battery in Marsden

Die Kitchener Battery befand sich auf einer Anhöhe mit einem uneingeschränkten Schussfeld über die Tyne-Mündung im Norden bis zum Wear im Süden. Das einzige Hindernis für dieses weite Feuerfeld war der Souter Leuchtturm unmittelbar östlich des Batteriestandorts. In der Praxis stellten aber weder dieser Leuchtturm noch der von St. Marys im Norden eine Einschränkung für das Feuer dar; da die beiden Tyne Turrets zusammenarbeiteten, konnte ein koordiniertes Feuermuster auf jeden gewünschten Punkt des Schussfelds gerichtet werden.

Die Batterie bestand aus einem Geschützturm der HMS Illustrious mit zwei 12-Zoll-Geschützen sowie aus umfangreichen unterirdischen Anlagen wie oben beschrieben. Oberirdisch befanden sich Gebäude für die Signalübermittlung und Steuerung der Batterie.

Nachfolgend zwei Ausschnitte aus den mir vorliegenden Plänen (Quelle: National Archives):

1921 war die Batterie fertiggestellt; am 6. September 1921 feuerte sie 12 Probeschüsse ab.

Der Geschützturm mitsamt Geschützen wurde, da mittlerweile recht veraltet (siehe auch Kommentar bei der Roberts Battery), zwischen 1924 und April 1926 entfernt und verschrottet, und die unterirdischen Anlagen wurden zunächst sich selbst überlassen, bis sie im zweiten Weltkrieg renoviert und als Munitionslager genutzt wurden.

Nach dem Krieg verfiel das Gelände vollends und wurde nach und nach von den angrenzenden Steinbrüchen eingenommen. In den 1950er Jahren wurden die massiven unterirdischen Anlagen gesprengt und beseitigt. Einziges Überbleibsel heute ist ein Paar Torpfosten bei 54°58'05.5"N 1°22'22.0"W.

Die folgende Karte zeigt die ehemalige Position der Batterie:

Quelle: Google Maps

 3. Die Roberts Battery in Hartley

Die Roberts Battery befand sich in der Nähe von Seaton Sluice, Northumberland. Entgegen meiner Behauptung im letzten Beitrag, nur die Kitchener Battery sei fertiggestellt worden, wurde auch  die Roberts Battery 1921 fertiggestellt.

Der Aufbau war analog der Kitchener Battery (Quelle: National Archives):


Die folgende Abbildung gibt eine Orientierung über die wichtigsten Funktionselemente. Farbcode: grau = Stahlbeton, rot = Ziegelmauerwerk, blau = Sockel des Geschützturms


Oberirdisch waren von dieser riesigen Anlage nur der Geschützturm und ein Blockhaus zu sehen; der Zugang erfolgte über zwei Lichthöfe. Vergleichbare Lichthöfe gibt es auch in anderen Batterien, hier z.B. der Tynemouth Castle Battery:


Die Batterie war außerdem von einer Nahverteidigungseinrichtung umgeben, vermutlich einer Mauer mit Schießscharten, einem vorgelagerten Graben und zwei kaponnièreartigen Ausstülpungen. Es ist mir bisher nicht gelungen, Details dazu zu finden.

Etwas abseits gelegen befand sich der Batteriekommandoposten mit einem Barr & Stroud Schnittbildentfernungsmesser in einem ca. 10 Meter hohen achteckigen Turm. Zu  diesem Ensemble gehörten auch Offiziers- und Mannschaftsunterkünfte, ein Kochhaus, ein Badehaus, ein Kesselhaus sowie ein Wasserturm und eine verteidigungsfähige Latrine, letztere sicherlich eine Besonderheit.

Der Geschützturm hatte ein beinahe völlig freies Schussfeld auf das Meer hinaus, außer in Richtung der Insel St. Mary's im Südosten. In der Praxis wäre dies aber kein Problem gewesen, da die Schüsse in der Regel so hoch gelegen hätten, dass sie über den Leuchtturm auf der Insel hinweggegangen wären. Jeder tote Winkel unmittelbar hinter dem Leuchtturm wäre von der Kitchener Battery abgedeckt worden.

Die Roberts Battery feuerte am 5. September 1922, einen Tag vor der Kitchener Battery, 12 Probeschüsse ab. Es wird berichtet, dass durch diese Schüsse Dachschindeln der umliegenden Häuser fortgerissen wurden. Die Vehemenz eines Abschusses der 12-Zoll-Geschütze zeigt das folgende Bild der HMS Illustrious während einer Schießübung 1907:

1924, also bereits 2 Jahre nach den Probeschüssen, wurde empfohlen, den Geschützturm zu entfernen, was bis ins Jahr 1926 dauerte. Die 12-Zoll-Geschütze waren 1895 in Dienst gestellt worden; bereits während des Einsatzes auf der Illustrious war es aufgrund konstruktiver Mängel zu vorzeitigen Detonationen gekommen. Die Geschütze waren also 1924, knapp 30 Jahre nach ihrer Indienststellung, hoffnungslos veraltet, was ein Grund für die Entscheidung gewesen sein mag, sie zu demontieren.

Im zweiten Weltkrieg wurde auf dem Batteriegelände eine Chain Home Low Radar Station errichtet. Nach dem Krieg stand die Batterie leer; die unterirdischen Einrichtungen waren noch in den 1960er Jahren zugänglich, wurden dann aber von der Gemeinde mit Schutt überdeckt.

Auf Luftbildern sind die Umrisse der Batterie heute recht gut erkennbar; ich habe das auf den folgenden Aufnahmen von Google Maps dargestellt.

Das erste Bild zeigt das Batteriegelände, so wie man es auf Google Maps sieht:


Auf dem nächsten Bild habe ich die Position der unterirdischen Einrichtungen hellblau markiert:


Hier schließlich das Gesamtensemble einschließlich markierter Nahverteidigung:

Das Areal ist in Privatbesitz und kann nicht betreten werden.

Mehr zu sehen ist vom Batteriekommandoposten, ca. 250 Meter südlich der Batterie gelegen:


Auf dem nächsten Bild habe ich das Areal markiert:


Legende:

  1. = Verteidigungsfähige Latrine
  2. = Wasserturm
  3. = Turm mit Schnittbildentfernungsmesser

Die durch eine blaue Linie gekennzeichnete Umfriedung besteht in Teilen aus einer mit Schießscharten bewehrten Mauer.

Das Ensemble mit dem bezeichnenden Namen „Fort House“ ist heute ein privates Wohnhaus und kann nicht betreten werden. Es ist denkmalgeschützt.

Auf Wikipedia findet man Fotos der wesentlichen Elemente; hier die Latrine mit Schießscharten:


Und der Wasserturm:


Was die Roberts Battery zu etwas ganz Besonderem macht, ist der Umstand, dass die unterirdischen Einrichtungen noch komplett erhalten sind. Findige Köpfe haben sogar einen Weg hinein gefunden; er ist allerdings extrem fragil und dadurch sehr gefährlich. Ich weiß zwar, wo er sich befindet, werde das aus den genannten Gründen hier aber nicht veröffentlichen.

Im britischen Internetforum „Derelict Places“ gibt es eindrucksvolle Fotos des Inneren. Die Räume sind hervorragend erhalten, wenngleich auch über und über mit Graffitis verschmiert. Hier ein Plan, welche Räume noch zugänglich sind:


(grün = zugänglich / rot = unzugänglich)

Ich vermute, dass auch das Lager für die Treibladungen intakt ist. Der einzige Zugang würde aber am Geschützbrunnen vorbei führen, und der ist komplett verschüttet.

Die Roberts Battery ist definitiv eine einzigartige militärische Einrichtung, der eigentlich ein besseres Schicksal beschieden sein sollte als unter Müll vergraben und mit Graffitis verunstaltet zu sein. Es wäre wünschenswert, wenn die zuständige Gemeinde sie wieder freilegen und für Besucher herrichten würde; der Aufwand kann nicht allzu groß sein. Vor allem sollte schnellstmöglich der heutige Zugang gesichert werden, bevor jemand zu Schaden kommt.

Mehr zu den Tyne Turrets:

Samstag, 14. Oktober 2023

Ein herber Verlust ...

Nachdem eine der großen Referenz-Seiten über Séré-de-Rivières-Festungen, www.fortiff.be von Jean Puelinckx, seit ein paar Jahren offline ist, scheint nun auch die zweite Referenzseite, www.fortiffsere.fr von Cédric und Julie Vaubourg, den Betrieb eingestellt zu haben. Bei Jean Puelinckx waren es wohl gesundheitliche Gründe, wie in diversen Foren zu lesen ist; der Grund für die Einstellung der fortiffsere-Seite ist mir nicht bekannt. 

Die Aufgabe beider Seiten ist ein großer Verlust für jeden, der sich mit dem Séré-de-Rivières-System befasst; mir ist leider keine weitere Seite bekannt, die auch nur annähernd an diese beiden heranreicht.

Das Internet-Archiv „Wayback Machine“ hat zum Glück Snapshots beider Seiten:
- www.fortiff.be
- www.fortiffsere.fr

Die Inhalte von www.fortiff.be wurden auch in gedruckter Form publiziert:

“Index de la Fortification Française 1874-1914” von Luc Malchair, Marco Frijns, Jean Puelinckx & Jean-Jacques Moulins

Leider ist aber dieses Werk mittlerweile komplett vergriffen und nur mit viel Glück antiquarisch erhältlich.

Impression aus Fort de Regret / Verdun (2003)


Montag, 25. September 2023

Die Tyne Turrets

Aus beruflichen Gründen komme ich im Moment kaum dazu, meine Festungstouren und -recherchen für diesen Blog aufzuarbeiten. Alleine von diesem Jahr stehen an

  • der Besuch der Festung Straßburg im März
  • das finale Update zur Ru Con Battery
  • ein Bericht über einige Festungselemente rund um die Mündung des Tyne / Großbritannien

Mindestens zwei Exkursionen werden bis Jahresende noch dazu kommen.

Um die Wartezeit zu überbrücken, hier ein kleines Kuriosum aus Tynemouth an der englischen Nordostküste.

Das Gebiet Tyne und Wear im Nordosten Englands verfügte in den ersten Jahren des 1. Weltkriegs  über zahlreiche Geschütze, von denen jedoch nur eines – das 9.2-Zoll-Geschütz von Tynemouth Castle – genügend Reichweite hatte, um feindliche Schiffe weiter draußen auf See zu bekämpfen. Zur vorgelagerten Küstenverteidigung bediente man sich daher zunächst der Marine, die allerdings 1916 nicht mehr genügend Schiffe dafür abstellen konnte. Ersatzweise wurden zwei Geschütztürme der HMS Illustrious für die Küstenverteidigung zur Verfügung gestellt (Hinweis: Die HMS Illustrious hatte bis zum 17. Oktober 1914 als Wachschiff für Loch Ewe gedient. 2 ihrer 12-Pfünder Geschütze wurden in dieser Zeit demontiert und als Bewaffnung der Ru Con Battery eingesetzt; ab 1915 wurde sie vollständig desarmiert). Auf dem folgenden Foto ist der vordere Geschützturm gut zu sehen:

Die Geschütztürme der Illustrious hatten jeweils zwei 12-Zoll-Geschütze (BL 12-inch naval guns Bj. 1898). Einer davon sollte nördlich des Tyne in Hartley aufgestellt werden („Roberts Battery“), einer südlich davon in Marsden („Kitchener Battery“). Diese beiden sogenannten „Tyne Turrets“ hatten eine Reichweite von ca. 22km, was sie für ihren Verwendungszweck recht geeignet machte. Derart riesige Geschütztürme benötigten allerdings entsprechend dimensionierte Unterbauten aus Stahlbeton samt Infrastruktur, was immense Geldsummen verschlang. Der Bauaufwand war so groß, dass beide Batterien zum Zeitpunkt des Waffenstillstands 1918 noch nicht fertiggestellt waren. Einzig die Kitchener Battery wurde Anfang der 1920er Jahre fertiggestellt; zu diesem Zeitpunkt waren die Geschütze aber schon so veraltet, dass der Turm 1926 verschrottet wurde. Heute ist von beiden Batterien kaum noch etwas zu sehen.

Der Feuerleitstand für die Tyne Turrets wurde 1916 in Gestalt eines sechsstöckigen Turms aus Beton auf der Rückseite des Anwesens Percy Gardens 47a errichtet. Auf dem Dach des Turms war ein Geschütz unbekannten Kalibers positioniert.

Heute dient der Turm als Wohnhaus und kann leider nicht besichtigt werden. Das nachfolgende Foto zeigt ihn von Bord der Fähre nach Ijmuiden aus gesehen (roter Pfeil):

Hier die Position auf der Karte:

(© Open Street Maps Mitwirkende)

Mehr zu den Tyne Turrets:

Sonntag, 25. Juni 2023

Ergänzung zu den Loch Ewe Reiseberichten

Der primäre militärhistorische Fokus meines diesjährigen Sommerurlaubs lag zwar (wie zu erwarten) auf der weiteren Erforschung der Ru Con Battery, aber natürlich nutzte ich den Aufenthalt in Wester Ross auch dazu, andere Objekte mit militärischem Hintergrund zu fotografieren.

Das begann schon während der Anreise, die uns von Inverness aus über Achnasheen nach Gairloch führte.

Dass es im 2. Weltkrieg in Achnasheen einen Checkpoint gab, hatte ich bereits erwähnt; hier nun ein Foto davon:

Der Checkpoint befand sich im linken, holzverkleideten Gebäudeteil, der bezeichnenderweise heute "Old Checkpoint" heißt.

Nächste Station: Kinlochewe. Hier  gibt es an der A896 ein Gebäude mit markantem grün-gelben Anstrich:

Dieses Gebäude hat einen militärischen Hintergrund: Im 1. Weltkrieg diente es als Schießanlage. Nach dem Krieg überließ es das Militär der Gemeinde als Gemeindehalle; diese Funktion erfüllte es 6 Jahrzehnte lang, bis eine neue Gemeindehalle in der Nähe gebaut wurde. Ab 2018 beherbergte das Gebäude dann ein Lokal, den "Gorse Bush", wo man exzellent essen konnte. Leider ist der Gorse Bush mittlerweile wieder geschlossen, und das Gebäude steht leer.

Weiter nach Gairloch. Dass das Gairloch Museum ein ehemaliger atombombensicherer Bunker aus dem kalten Krieg ist, der als „Anti-Aircraft Operations Room (AAOR)“ diente, also zur Koordination der Luftabwehr im Verteidigungsabschnitt Loch Ewe, hatte ich bereits beschrieben. Hier nun eine Außenaufnahme, an der man den Bunkercharakter deutlich erkennt:

Das Logo des Am Bard Cafés im 1. Stock trägt der ehemaligen militärischen Funktion Rechnung:

Die ehemaligen militärischen Wasserversorgungseinrichtungen in Naast konnte ich diesmal auch besser fotografieren (2022 gelang mir nur ein Schnappschuss des Stauwehrs aus dem fahrenden Auto heraus).

Hier zwei Bilder der Pumpstation:


Leider hatte ich keine Möglichkeit, bis zu den Gebäuden vorzudringen, um einen Blick hinein zu werfen. Hier noch einmal das Stauwehr:

Naast ist auf jeden Fall einen weiteren Besuch wert: In einem Bericht vom 22. August 1915 weist Admiral Lowry (Admiral commanding Coast of Scotland) auf die gute Frischwasserversorgung von Loch Ewe hin und erwähnt einen Frischwassertank mit 70 Tonnen Fassungsvermögen. Wo sich dieser Tank befunden haben soll, konnte ich leider noch nicht herausfinden, aber es wäre interessant, zu überprüfen, ob es sich dabei um die Tankreste handeln könnte, die angeblich in einem Wäldchen bei Naast zu finden sind.

Ich konnte diesmal auch ein besseres Foto von Gruinard Island, der Anthrax-Insel machen, und zwar von Laide aus:

Last but not least versuchte ich auf dem Heimweg noch, mit Hilfe meiner GoPro Dashcam den Bunker am Hang über Loch Garve abzulichten, aber das gelang leider nicht - die Vegetation war zu dicht.

Über Loch Ewe wird es nun eine Zeit lang keinen Beitrag mehr geben. Bis ich alle neuen Materialien über die Ru Con Battery (Begehungsergebnisse, Fotos, Luftbilder und neue Dokumente aus dem Britischen Nationalarchiv) ausgewertet habe, werden vermutlich Monate vergehen. Ich werde zu gegebener Zeit berichten, dann natürlich auf Englisch.

Übersicht der siebenteiligen Berichtsreihe über Loch Ewe inklusive Teaser / Overview of the five-part series of reports on Loch Ewe including teaser:

Teaser (Deutsch)

Loch Ewe, erster Teil (Deutsch)

Loch Ewe, zweiter Teil: Das Ostufer (Deutsch)

Loch Ewe, Teil 3: Westufer und Gruinard Bay (Deutsch)

Loch Ewe in the Great War (English)

Ru Con Battery (English)

Teaser: News from Ru Con Battery (English)

Ergänzung zu den Loch Ewe Reiseberichten (Deutsch)

Mittwoch, 21. Juni 2023

Teaser: News from Ru Con Battery

 

A few days ago I returned from Scotland, where I was able to do an extensive field survey of the Rubh' a' Choin peninsula; the goal was of course to find more remains of the WWI coastal battery. 

Unfortunately it will take some time to evaluate the extensive material, but of course I will publish the results here.

Be curious!


Übersicht der siebenteiligen Berichtsreihe über Loch Ewe inklusive Teaser / Overview of the five-part series of reports on Loch Ewe including teaser:

Teaser (Deutsch)

Loch Ewe, erster Teil (Deutsch)

Loch Ewe, zweiter Teil: Das Ostufer (Deutsch)

Loch Ewe, Teil 3: Westufer und Gruinard Bay (Deutsch)

Loch Ewe in the Great War (English)

Ru Con Battery (English)

Teaser: News from Ru Con Battery (English)

Ergänzung zu den Loch Ewe Reiseberichten (Deutsch)

Donnerstag, 11. Mai 2023

Und wieder einmal Zwischenwerk 6 ...

Zwischenzeitlich habe ich mich erneut mit dem Zufahrtsdamm von Zwischenwerk 6 befasst. Im Inventarisierungsdossier der Interalliierten Militär-Kontrollkommission (1927) habe ich zwei interessante Details gefunden, die endlich einige bisher offen gebliebene Fragen beantworten konnten.

Das erste Detail zeigt dieser Planausschnitt des Kehldamms:


Der Kehldamm war offensichtlich ein einfacher aufgeschütteter Damm ohne Betonelemente. Die Betontrümmer, die heute eine Ausstülpung am südlichen Rand des Damms bilden, stammen mit ziemlicher Sicherheit von der Kaserne im Zwischenwerk. Ich habe mir die Kaserne vor Ort noch einmal genauer angesehen, und mir ist aufgefallen, dass es 3 Trümmerstadien des Kasernenbaus gibt: 
  • Am nördlichen Ende, wo sich die Latrine befand, ist nicht nur die Betondecke in Trümmern erhalten, sondern auch signifikante Reste des Ziegelmauerwerks
  • Am südlichen Ende, wo sich die Küche befand, finden sich fast nur noch Betontrümmer und keine Reste des Ziegelmauerwerks
  • In der Mitte, wo die Eingangsverteidigung lag, gibt es kaum Betontrümmer und keine Ziegel:

Dazu folgende Hypothese: Das Werk ist offenbar nach der Sprengung zur Baumaterialgewinnung ausgeschlachtet worden. Im Süd- und Mittelteil wurden zunächst alle Ziegel abtransportiert, die erreichbar waren, ohne Betontrümmer zu entfernen. Anschließend begann man, die Betontrümmer im Mittelteil zu entfernen und transportierte die darunter befindlichen Ziegelsteine ab. Der Betontrümmer entledigte man sich, indem man sie einfach vom Damm aus in den Graben warf. Diese Arbeiten wurden abgebrochen, bevor man den Nordteil des Werks erreichte.
Vielleicht entdecke ich eines Tages Unterlagen, die diese Hypothese entweder unterstützen oder widerlegen; im Augenblick habe ich jedenfalls keine bessere Erklärung für die Befunde vor Ort.

Das zweite Detail betrifft das "Barrierentor mit Palisadierung an den Böschungen" - diesen Ausdruck hatte ich in anderen Unterlagen gefunden und konnte ihn mir lange nicht erklären. Auf dem Planausschnitt des Zufahrtsdamms ist das Tor eingezeichnet (roter Pfeil):


Dazu gibt es in den Unterlagen eine kleine Abbildung:


Es handelte sich also um ein ganz schlichtes Holztor mit anschließenden Stacheldrahtzäunen, die die Böschungen hinunter bis ins Wasser gingen.

So sieht der Damm an dieser Stelle heute aus (Blickrichtung Zwischenwerk):


Die folgende Montage soll einen Eindruck vermitteln, wie das Tor seinerzeit aussah:


Auch über die Abwasserentsorgung des Zwischenwerks gibt es neue Erkenntnisse; darüber werde ich separat berichten.

Sonntag, 26. Februar 2023

Die Armierungsstellung Germersheim

Als ich Anfang der 1980er Jahre begann, mich mit dem Festungsbau zwischen (damals noch) 1871 und 1918 zu beschäftigen, war das ein eher „exotisches“ Thema – es gab nicht viele, die meine Leidenschaft teilten, es gab nicht viel Literatur darüber und es gab noch keine digitalen sozialen Netzwerke, die mir geholfen hätten, mich mit Gleichgesinnten auszutauschen. 

Sich Erkenntnisse über die Festungen zu verschaffen, war lange Jahre anstrengend und zeitintensiv, aber auch ungemein faszinierend und motivierend. 

Heute, 40 Jahr später, sind die Festungen in meinem Scope geradezu Mainstream geworden. Es gibt einschlägige Internet-Foren, soziale Netzwerke wie Instagram und Facebook, und zu fast jeder Festung gibt es Internet-Seiten und / oder Printmedien - alles ist von irgendwem schon erkundet und dokumentiert worden. Viele der Festungen, die in den 1980ern noch fast unzugänglich waren, sind heute touristisch erschlossen. 

Festungen, die man sich erarbeiten muss, mit denen sich noch niemand beschäftigt und über die niemand geschrieben hat, sind selten geworden. Das Zwischenwerk „Station Manching“ bei Ingolstadt ist ein Beispiel dafür, die Batterie St. Peter und die Ru Con Battery in Schottland sind weitere.

Ja, und eben die Festung Germersheim, über die ich schon berichtet habe und um die es auch in diesem Blogbeitrag wieder geht.

Germersheim wurde bereits zwischen 1834 und 1861 befestigt und seither nicht mehr verstärkt oder ausgebaut; die Festung war daher schon vor dem ersten Weltkrieg so veraltet, dass mit ihrer Auflassung 1913 begonnen wurde. 1914, zu Beginn des Krieges, legte man in ca. 30 km Abstand um die Festung eine vorgezogene Armierungsstellung an, um wenigstens grundlegende Festungseigenschaften sicherzustellen. Um diese Armierungsstellung soll es heute gehen.

Sie begann im Norden bei Mechtersheim und verlief im Halbkreis über Schwegenheim, Weingarten, Bellheim, Hördt bis zum Hördter Auwald im Süden. Gemäß dem Entfestigungsdossier Germersheim der Interalliierten Militärkontrollkommission aus den 1920er Jahren bestand sie aus 64 Unterständen. 34 davon seien als Infanterieunterstände (wahrscheinlich Untertreträume) in Ziegelmauerwerk auf gewölbtem Wellblech ausgeführt gewesen, heißt es. 30 seien als Maschinengewehr-Unterstände beschuss-/bombensicher in Beton mit einem Meter Deckenstärke ausgeführt gewesen. 

Das Dossier spricht bei den 34 nicht-betonierten Unterständen von "wichtigen" Räumen; das impliziert, dass es auch "unwichtige" gegeben haben muss. Es ist davon auszugehen, dass diese Anlagen in passagerer Bauart ausgeführt waren, d.h. aus Holz bestanden.

Das Dossier erwähnt außerdem 6 „Puits“ (das französische  Wort für Schächte oder Brunnen) und 4 Munitionsunterstände.

Die folgende Karte ist im Ursprung von 1913; wann die Elemente der Armierungsstellung in rot in die Karte eingetragen wurden, ist unbekannt:


Wertet man die Einträge aus, kommt man auf folgende Zahlen:

  • 57 Infanterieräume
  • 37 Munitionsräume
  • 5 rückwärtig gelegene Munitionsdepots
  • 2 Einrichtungen unbekannter Zweckbestimmung

An einigen Stellen lässt sich im Bodenrelief nachweisen, dass es in Wirklichkeit sogar noch mehr Befestigungseinrichtungen gab. So sind beispielweise dort, wo sich laut Karte die beiden Munitionsräume M38 und M39 südlich der Ludwigsmühle zwischen Lustadt und Bellheim befinden, mindestens 3 Befestigungselemente zu sehen (*):


Auf Google Maps gibt es einige Fotos des Areals (die dort getroffene Zuordnung „Westwallbunker“ ist nicht korrekt).

Aus wie vielen Elementen die Armierungsstellung wirklich bestand, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Es waren mit Sicherheit wesentlich mehr als im Entfestigungsdossier genannt.

Im ersten Weltkrieg kam die Armierungsstellung nicht zum Einsatz und begann zu verfallen. Kurz nach dem Krieg wurde sie von der lokalen Bevölkerung weitgehend abgerissen, nachdem man ihr die freie Verfügung über das Material überlassen hatte. Heute ist nicht mehr viel von der Armierungsstellung zu sehen. Speziell in den landwirtschaftlich genutzten Gebieten ist sie komplett verschwunden, nur in bewaldeten Gebieten finden sich Reste.

Zurück zu der Karte der Armierungsstellung:

(1) kennzeichnet die Festung Germersheim.

Es fällt auf, dass es zwei der Armierungsstellung vorgelagerte Befestigungsteile gab:

(2) Im Südwesten am Gollenberg zwischen Knittelsheim und Rülzheim sind 3 Infanterie- und 2  Munitionsräume eingetragen
(3) Im Nordwesten am Schlossberg bei Weingarten sind zwei Infanterieräume eingetragen

Als ich 2021 begann, mich mit der Armierungsstellung zu befassen, interessierten mich diese beiden Stellen am meisten. Bei den Vorbereitungen meines Besuchs im August zeigt sich leider schnell, dass dort wohl nicht mehr viel zu sehen sein dürfte.

Hier das Bodenrelief des Schlossbergs bei Weingarten (*):


Das Gebiet der Infanteriepositionen wird heute landwirtschaftlich genutzt. Man erkennt einige verflachte Erhebungen; eine klare Zuordnung ist nicht möglich.

Ähnlich sieht es am Gollenberg aus (*):


Da ich  mir nicht vorstellen konnte, dass von den doch umfangreichen Befestigungselementen am Gollenberg wirklich gar nichts übriggeblieben sein sollte, beschloss ich, mir das vor Ort anzusehen.

Blick auf den Gollenberg von Knittelsheim aus:

Weg auf den Gollenberg, von Südwesten aus gesehen:

Entlang dieses Weges befanden sich die Infanterie- und Munitionsräume, wie auf der Karte zu erkennen ist:

Heute sind von diesen Einrichtungen nur noch links = nördlich des Weges Betontrümmer zu sehen:




Tiefer ins Gelände vorzudringen war aufgrund der extrem dichten Vegetation unmöglich:

Rechts = südlich des Weges wird Wein angebaut, dort ist nichts mehr zu sehen.

Anschließend machte ich noch ein Abstecher nach Bellheim. Dort gibt es am nördlichen Ortsrand ein Kriegerdenkmal, das 1934 auf den Resten eines gesprengten Bunkers der Armierungsstellung errichtet wurde. Die Karte sieht an dieser Stelle 4 Infanterieräume vor (J44 - J47):

Dass das Denkmal auf einem Bunker steht, ist vor Ort gut erkennbar. Das Bunkerdach ist in der Mitte eingebrochen; dort wurde die Gedenktafel positioniert.

Gesamtansicht:

Linke Hälfte des Bunkerdachs:

Rechte Hälfte des Bunkerdachs:

Gedenktafel:

Skulptur am Fuß des Kreuzes:

Rückansicht:

Auf dem Bodenrelief (*) ist das Denkmal mit (1) gekennzeichnet; (2) ist eine auffällige Struktur, die ebenfalls auf einen ehemaligen Bunker zurückzuführen sein könnte:

Vor Ort sieht diese Struktur so aus:

Ob es sich wirklich um das Dach eines ehemaligen Bunkers der Armierungsstellung handelt, ließ sich nicht herausfinden. Von den anderen Infanterieräumen ist nichts zu sehen.

Wenn ich mehr Zeit gehabt hätte, hätte ich mir noch die Reste der Munitionsräume M40 – M43 beim ehemaligen Jagdschloss Friedrichsbühl (Neuhaus) angesehen. Auf dem Bodenrelief (*) sind diese Reste - in der linken Bildhälfte zu sehen - recht vielversprechend:

Hier der Kartenausschnitt dazu:

Zu M42/43 gibt es Fotos auf Google Maps; auch hier wird der fotografierte Bunker fälschlich dem Westwall zugeordnet.

Übrigens zeigt sich auch an diesen M-Räumen, dass die Anzahl der Befestigungselemente (I- und M-Räume) in Realität erheblich höher gewesen sein muss als auf der Karte eingezeichnet: Statt lediglich 4 M-Räumen lassen sich auf dem Bodenrelief mindestens 7, wenn nicht mehr Bunkerelemente erkennen.

Abschließend eine Übersicht der anderen Beiträge zur Festung Germersheim:

 

(*) Die Bodenreliefdarstellungen entstammen dem vom Landesamt für Geologie und Bergbau Rheinland-Pfalz bereitgestellten Kartenviewer https://mapclient.lgb-rlp.de/

©LGB-RLP 2023, dl-de/by-2-0, www.lgb-rlp.de (Lizenztext siehe http://www.govdata.de/dl-de/by-2-0)

Die Reliefdarstellungen wurden zum Teil von mir in Form von Markierungen relevanter Objekte bearbeitet.