Sonntag, 17. Juli 2016

Die Forte Ardietti bei Peschiera


 (Wiederhergestellter Post vom 17.07.2016 aus dem alten Tavannes-Blog)



Im ersten italienischen Unabhängigkeitskrieg (1848/49) spielte das Festungsviereck Mantua-Peschiera del Garda-Verona-Legnano eine wichtige Rolle, Österreich die Kontrolle über Norditalien zu gewährleisten. Es zeigte sich allerdings, dass eine bessere Verteidigung dieser Städte möglich gewesen wäre, hätte man sie rechtzeitig zu verschanzten Lagern ausgebaut; so wurde Peschiera im Mai 1848 von piemontesischen Truppen eingenommen, konnte jedoch im August von Österreich zurückerobert werden.

Aus dieser Erfahrung heraus hatte Feldmarschall Radetzky schon im Mai 1848 den Auftrag gegeben, ein neues System für die Verteidigung von Peschiera auszuarbeiten. Zunächst wurde nur ein Entwurf für die Befestigungsanlagen am rechten Mincio-Ufer beauftragt, die aus Zeitgründen nur als Erdwerke errichtet werden sollten. Kaiser Franz Joseph billigte den Bau am 10. Januar 1849, bestand jedoch auf einem Plan für das gesamte verschanzte Lager, um die Gesamtkosten beurteilen zu können. Diesen Plan genehmigte er am 14. Februar 1849.

Aus Kostengründen beschränkten sich die Bauarbeiten zunächst nur auf das rechte Mincio-Ufer. Unter diesen Befestigungsanlagen befand sich auch das Lagerwerk Nr. VIITI, östlich von Dolci bzw. nordöstlich von Ponti sul Mincio gelegen.

1851 ordnete die General Genie Direction in Wien eine Überarbeitung des Plans für das verschanzte Lager Peschiera an; das Lagerwerk Nr. VIII, das bis dahin aus Erdwällen und nur wenigen Mauerwerkselementen bestand, sollte abgerissen und durch einen neuen Entwurf ersetzt werden. Diese Arbeiten begannen 1853.

Da das Lagerwerk Nr. VIII das verschanzte Lager nach Süden abschloss, wo das Minciotal die Verteidigungslinie durchbrach, hatte es für Peschiera eine besondere Bedeutung und wurde als relativ große Anlage konzipiert. Es wurde als polygonale Festung neudeutscher Schule mit unvollständigem achteckigen Grundriss errichtet.

2 Seiten des Polygons fehlen; an dieser Stelle bildet ein einspringender Winkel eine Kehle. Aus dem beinahe runden zweistöckigen Kernwerk mit rundem Innenhof ragt ein Teil in die Kehle hinein und dient dort als Kaponnière. Für den Fall, dass Feind in die Festung eindrang, versah man es rundum mit Gewehrscharten. Im Inneren befanden sich Unterkünfte, Küchen, ein Lazarett , Latrinen und Lager für Lebensmittel, Munition und Pulver. Das Hauptpulvermagazin wurde unter dem Erdwall neben der Poterne, die zur zentrealen Kaponnière führt, angelegt. Die Wasserversorgung des Werks erfolgte über Zisternen im Innenhof des Kernwerks.

Der trockene Graben mit davor liegendem Glacis verfügt über keine Kontereskarpenmauer. Die Eskarpenmauer steht frei (a la Carnot) und weist drei Kaponnièren für leichte Geschütze auf. Zusätzlich konnte der Graben durch zahlreiche Gewehrscharten in der Eskarpenmavuer bzw. auf der rechten Kehlseite durch Zinnen verteidigt werden. Als Besonderheit wurde auf der linken Kehlseite eine unterirdische kasemattierte Batterie eingerichtet, von der aus das Minciotal beschossen werden konnte. Alle anderen Geschütze zur Außenverteidigung waren auf den Erdwällen, geschützt durch Erdtraversen, unter freiem Himmel positioniert.

Das Lagerwerk Nr. VIII, mittlerweile umnummeriert in Lagerwerk Nr. VI, wurde 1861 fertig gestellt.

Blick auf die zentrale Poterne (Aufnahmedatum unbekannt):

Mit dem Ende des dritten italienischen Unabhängigkeitskriegs fielen die Lombardei und Venetien endgültig an Italien und mit ihnen auch die Festung Peschiera und das Lagerwerk Nr. VI, italienisch "Forte Ardietti" genannt.

Der nachfolgende Plan der Festung stammt aus dem Befestigungsatlas des technischen und administrativen Militär-Comites von 1880; er zeigt den Zustand von 1866:

Legende:

  1. Kernwerk
  2. Kaponnieren
  3. Kasemattierte Batterie

Der Graben ist braun eingezeichnet.

Die Forte Ardietti hatte zu diesem Zeitpunkt 680 Mann Besatzung, von denen 430 bzw. notfalls auch 612 Mann bombensicher untergebracht werden konnten. Sie verfügte über insgesamt 25 Geschütze, davon

  • 4 Hinterladerkanonen 12cm
  • 7 glatte Kanonen
  • 12 glatte Haubitzen
  • 2 glatte Mörser

Ansicht der Kehlseite (Foto von 1866):

Seit dem ersten Weltkrieg diente die Festung bis in die 1990er Jahre als Munitionslager, zumal sie militärtechnisch völlig veraltet war. Die Gemeinde Ponti sul Mincio erwarb sie 2014 und hat sie für Besucher hergerichtet. Da sie so lange vom Militär genutzt wurde und nie in Kämpfe verwickelt war, ist sie perfekt erhalten und ein Musterbeispiel für habsburgische Festungsbaukunst der Mitte des 19. Jahrhunderts.

Öffnungszeiten (Anm.: Stand vom 17.07.2016):

  • Vom 26.03. bis 29.05. samstags und sonntags von 10:00 - 12:00 und von 15:00 - 19.00
  • Vom 29.05. bis 25.09. täglich von 10:00 - 12:00 und von 15:00 - 19.00

Nachfolgend einige Eindrücke von außen; zunächst das Kernwerk, von der zentralen Poterne aus gesehen:

Der Innenhof des Kernwerks:

Eskarpenmauer und östliche Kaponniere:

Latrine gegenüber der östlichen Kaponnière:

Kaponnièrentor:

Eingang in die Festung, früher mit Zugbrücke:

Innenaufnahme des Kernwerks; zunächst der umlaufende Gang:

Gang zur Kehlkaponnière:

Erdgeschoss der Kehlcaponnière:

Treppenabgang in das Untergeschoss der Kehlcaponnière:

Einige Exponate im Kernwerk:




Aufnahmen aus der zentralen Kaponnière:


Im Teaser (Anm.: Nicht rekonstruiert) hatte ich eine herausragende Besonderheit angekündigt: Bei meinem Besuch im Mai 2016 hatte ich das Glück, die kasemattierte Batterie ausführlich erkunden zu können, da das Außentor nicht abgeschlossen war. Hier zunächst ein Innenfoto der Geschützkasematte:

Was diesen Ort zu einem ganz besonderen macht, sind unzählige Bleistift-Wandinschriften italienischer Soldaten, hauptsächlich aus den 80er und 90er Jahren des 19. Jahrhunderts:







Die gesamte Wand, an der sich das letzte Bild befindet, sieht so aus:

(Der Dienst muss ziemlich trostlos gewesen sein ...)

Es wäre zu wünschen, dass jemand die Bedeutung dieser Wandinschriften erkennt und sie konserviert bzw. schützt. Wenngleich der Erhaltungszustand der Festung an sich schon begeisterungswürdig ist, so sind diese Inschriften das eigentliche Highlight.