Als ich Anfang der 1980er Jahre begann, mich
mit dem Festungsbau zwischen (damals noch) 1871 und 1918 zu beschäftigen, war
das ein eher „exotisches“ Thema – es gab nicht viele, die meine Leidenschaft
teilten, es gab nicht viel Literatur darüber und es gab noch keine digitalen
sozialen Netzwerke, die mir geholfen hätten, mich mit Gleichgesinnten
auszutauschen.
Sich Erkenntnisse über die Festungen zu verschaffen, war lange Jahre anstrengend und zeitintensiv, aber auch ungemein faszinierend und motivierend.
Heute, 40 Jahr später, sind die Festungen in meinem Scope geradezu Mainstream
geworden. Es gibt einschlägige Internet-Foren, soziale Netzwerke wie Instagram
und Facebook, und zu fast jeder Festung gibt es Internet-Seiten und / oder
Printmedien - alles ist von irgendwem schon erkundet und dokumentiert worden.
Viele der Festungen, die in den 1980ern noch fast unzugänglich waren, sind heute
touristisch erschlossen.
Festungen, die man sich erarbeiten muss, mit denen sich noch niemand beschäftigt
und über die niemand geschrieben hat, sind selten geworden. Das Zwischenwerk „Station Manching“ bei
Ingolstadt ist ein Beispiel dafür, die Batterie St. Peter und die Ru Con
Battery in Schottland sind weitere.
Ja, und eben die Festung Germersheim, über die ich schon
berichtet habe und um die es auch in diesem Blogbeitrag wieder geht.
Germersheim wurde bereits zwischen 1834 und 1861 befestigt
und seither nicht mehr verstärkt oder ausgebaut; die Festung war daher schon
vor dem ersten Weltkrieg so veraltet, dass mit ihrer Auflassung 1913 begonnen
wurde. 1914, zu Beginn des Krieges, legte man in ca. 30 km Abstand um die
Festung eine vorgezogene Armierungsstellung an, um wenigstens grundlegende
Festungseigenschaften sicherzustellen. Um diese Armierungsstellung soll es heute gehen.
Sie begann im Norden bei Mechtersheim
und verlief im Halbkreis über Schwegenheim, Weingarten, Bellheim, Hördt bis zum
Hördter Auwald im Süden. Gemäß dem Entfestigungsdossier Germersheim der
Interalliierten Militärkontrollkommission aus den 1920er Jahren bestand sie aus 64 Unterständen. 34 davon seien als
Infanterieunterstände (wahrscheinlich Untertreträume) in Ziegelmauerwerk auf
gewölbtem Wellblech ausgeführt gewesen, heißt es. 30 seien als
Maschinengewehr-Unterstände beschuss-/bombensicher in Beton mit einem Meter
Deckenstärke ausgeführt gewesen.
Das Dossier spricht bei den 34 nicht-betonierten Unterständen von "wichtigen" Räumen; das impliziert, dass es auch "unwichtige" gegeben haben muss. Es ist davon auszugehen, dass diese Anlagen in passagerer Bauart ausgeführt waren, d.h. aus Holz bestanden.
Das Dossier erwähnt außerdem 6 „Puits“ (das
französische Wort für Schächte oder
Brunnen) und 4 Munitionsunterstände.
Die folgende Karte ist im Ursprung von 1913; wann die
Elemente der Armierungsstellung in rot in die Karte eingetragen wurden, ist
unbekannt:
Wertet man die Einträge aus, kommt man auf folgende Zahlen:
- 57 Infanterieräume
- 37 Munitionsräume
- 5 rückwärtig gelegene Munitionsdepots
- 2 Einrichtungen unbekannter Zweckbestimmung
An einigen Stellen lässt sich im Bodenrelief nachweisen,
dass es in Wirklichkeit sogar noch mehr Befestigungseinrichtungen gab. So sind
beispielweise dort, wo sich laut Karte die beiden Munitionsräume M38 und M39
südlich der Ludwigsmühle zwischen Lustadt und Bellheim befinden, mindestens 3
Befestigungselemente zu sehen (*):
Auf Google Maps gibt es einige
Fotos des Areals (die dort
getroffene Zuordnung „Westwallbunker“ ist nicht korrekt).
Aus wie vielen Elementen die Armierungsstellung wirklich bestand, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Es waren mit Sicherheit wesentlich mehr als im Entfestigungsdossier genannt.
Im ersten Weltkrieg kam die Armierungsstellung nicht zum Einsatz und
begann zu verfallen. Kurz nach dem Krieg wurde sie von der lokalen Bevölkerung weitgehend abgerissen, nachdem man ihr die freie Verfügung über das
Material überlassen hatte. Heute ist nicht mehr viel von der Armierungsstellung
zu sehen. Speziell in den landwirtschaftlich genutzten Gebieten ist sie
komplett verschwunden, nur in bewaldeten Gebieten finden sich Reste.
Zurück zu der Karte der Armierungsstellung:
(1) kennzeichnet die Festung Germersheim.
Es fällt auf, dass es zwei der Armierungsstellung vorgelagerte
Befestigungsteile gab:
(2) Im Südwesten am Gollenberg zwischen Knittelsheim und
Rülzheim sind 3 Infanterie- und 2 Munitionsräume eingetragen
(3) Im Nordwesten am Schlossberg bei Weingarten sind zwei
Infanterieräume eingetragen
Als ich 2021 begann, mich mit der Armierungsstellung zu
befassen, interessierten mich diese beiden Stellen am meisten. Bei den
Vorbereitungen meines Besuchs im August zeigt sich leider schnell, dass dort
wohl nicht mehr viel zu sehen sein dürfte.
Hier das Bodenrelief des Schlossbergs bei Weingarten (*):
Das Gebiet der Infanteriepositionen wird heute landwirtschaftlich
genutzt. Man erkennt einige verflachte Erhebungen; eine klare Zuordnung ist
nicht möglich.
Ähnlich sieht es am Gollenberg aus (*):
Da ich mir nicht
vorstellen konnte, dass von den doch umfangreichen Befestigungselementen am
Gollenberg wirklich gar nichts übriggeblieben sein sollte, beschloss ich, mir
das vor Ort anzusehen.
Blick auf den Gollenberg von Knittelsheim aus:
Weg auf den Gollenberg, von Südwesten aus gesehen:
Entlang dieses Weges befanden sich die Infanterie- und
Munitionsräume, wie auf der Karte zu erkennen ist:
Heute sind von diesen Einrichtungen nur noch links = nördlich
des Weges Betontrümmer zu sehen:
Tiefer ins Gelände vorzudringen war aufgrund der extrem
dichten Vegetation unmöglich:
Rechts = südlich des Weges wird Wein angebaut, dort ist nichts
mehr zu sehen.
Anschließend machte ich noch ein Abstecher nach Bellheim.
Dort gibt es am nördlichen Ortsrand ein Kriegerdenkmal, das 1934 auf den Resten
eines gesprengten Bunkers der Armierungsstellung errichtet wurde. Die Karte
sieht an dieser Stelle 4 Infanterieräume vor (J44 - J47):
Dass das Denkmal auf einem Bunker steht, ist vor Ort gut
erkennbar. Das Bunkerdach ist in der Mitte eingebrochen; dort wurde die
Gedenktafel positioniert.
Gesamtansicht:
Linke Hälfte des Bunkerdachs:
Rechte Hälfte des Bunkerdachs:
Gedenktafel:
Skulptur am Fuß des Kreuzes:
Rückansicht:
Auf dem Bodenrelief (*) ist das Denkmal mit (1)
gekennzeichnet; (2) ist eine auffällige Struktur, die ebenfalls auf einen
ehemaligen Bunker zurückzuführen sein könnte:
Vor Ort sieht diese Struktur so aus:
Ob es sich wirklich um das Dach eines ehemaligen Bunkers der
Armierungsstellung handelt, ließ sich nicht herausfinden. Von den anderen
Infanterieräumen ist nichts zu sehen.
Wenn ich mehr Zeit gehabt hätte, hätte ich mir noch die
Reste der Munitionsräume M40 – M43 beim ehemaligen Jagdschloss Friedrichsbühl (Neuhaus) angesehen. Auf dem Bodenrelief (*) sind diese Reste - in der linken Bildhälfte zu sehen - recht vielversprechend:
Hier der Kartenausschnitt dazu:
Zu M42/43 gibt es Fotos auf Google Maps; auch hier wird der
fotografierte Bunker fälschlich dem Westwall zugeordnet.
Übrigens zeigt sich auch an diesen M-Räumen, dass die Anzahl der Befestigungselemente (I- und M-Räume) in Realität erheblich höher gewesen sein muss als auf der Karte eingezeichnet: Statt lediglich 4 M-Räumen lassen sich auf dem Bodenrelief mindestens 7, wenn nicht mehr Bunkerelemente erkennen.
Abschließend
eine Übersicht der anderen Beiträge zur Festung Germersheim:
(*) Die Bodenreliefdarstellungen entstammen dem vom
Landesamt für Geologie und Bergbau Rheinland-Pfalz bereitgestellten
Kartenviewer https://mapclient.lgb-rlp.de/
©LGB-RLP 2023,
dl-de/by-2-0, www.lgb-rlp.de (Lizenztext siehe http://www.govdata.de/dl-de/by-2-0)
Die Reliefdarstellungen wurden zum Teil von mir in Form von
Markierungen relevanter Objekte bearbeitet.