Bevor das Maschinengewehr erfunden wurde, nahmen die Versuche, Schüsse in möglichst schneller Folge abgeben zu können, mitunter recht skurrile Züge an.
Ein Beispiel dafür sind die sogenannten Espingolen, die ich bereits im Artikel über dasDannewerk erwähnt hatte.
Der Name Espingole stammt aus dem Altfranzösischen, wo das Wort "espringuer" so viel wie springen bedeutet. Genau das tut das Feuer in einer Espingole. Ihr wesentliches Prinzip besteht darin, einen Lauf abwechselnd mit Schießpulver und durchbohrten Kugeln zu füllen und dann von der Mündung aus zu zünden.
Wer sie erfunden hat, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Die ursprüngliche Entwicklung geht möglicherweise auf Chinesen und Araber zurück. Im Mittelalter gab es in Europa die sogenannten Klotzbüchsen; in einem Feuerwerksbuch aus dem Jahr 1445 heißt es dazu: „Thue so viel Pulver in die Büchse, als einer der Klötze (Anmerkung: Klotz = zylindrisches Geschoss, in der Längsachse durchbohrt) lang ist, schlag den Klotz (von Eisen oder Blei) auf dies Pulver und wieder so viel Pulver und wieder einen Klotz, bis die Büchse voll ist. Durch jeden Klotz läuft ein Blechröhrlein, daß das Feuer von einem zu dem andern kommen kann. Die Löcher sollen so groß sein, als eine Spindelspitze (Spindel vom Spinnrade), dadurch wird das Pulver gelassen und eine Schwefelkerze hineingesteckt.“
Laden einer Klotzbüchse, aus einer mittelalterlichen Bilderhandschrift der Wiener Hofbibliothek
Die Entwicklung der Espingolen in Dänemark begann nach den Napoleonischen Kriegen. Den Anstoß gab der Marineoffizier Louis de Coninck, der solche Waffen auf einer Reise nach Nordamerika um 1816 auf dem amerikanischen Kriegsschiff Independent gesehen hatte und den Dänischen König Frederik VI darüber informierte. Dieser war sehr an Waffentechnik interessiert und beauftragte den Leiter des Dänischen Raketenkorps, Andreas Anthon Frederik Schumacher, das Espingolen-Prinzip auf Tauglichkeit zu untersuchen. Zusammen mit D. C. F. Schultz, dem Inspektor der Kronborg Geværfabrik, entwickelte Schumacher verschiedene Versuchstypen. Sie fanden heraus, dass die Läufe möglichst lang sein mussten, um möglichst viele Schüsse aufzunehmen. Da es zu ihrer Zeit nicht möglich war, derart lange Läufe in einem Arbeitsgang herzustellen, mussten jeweils 2 Läufe hintereinander verschweißt werden. Damit die Läufe stark genug waren, den vielen Schüssen standzuhalten, mussten sie außerdem „gewickelt“ werden, d.h. sie wurden außen mit Eisenbändern umwickelt, die dann angeschmiedet wurden.
Um ein möglichst intensives Feuer zu erreichen, experimentierte man mit Bündeln von bis zu 7 Espingolenläufen; am praktikabelsten erwiesen sich drei Läufe, die im Dreieck mit eisernen Bändern zu sogenannten „Kolonnen-Espingolen“ zusammengefasst wurden.
Dieser Typ konnte 125 Meter weit mit einer Kadenz von 96 Schuss pro Minute schießen.
Da die
Herstellung von gewickelten Läufen kostspielig und aufwändig war und das Laden
problematisch, ging man zu einer Konstruktion über, bei der vorgeladene Läufe
in sogenannte Hauptrohre eingesetzt wurden. Abgefeuerte Läufe konnten dann
schnell durch neue vorgeladene Läufe ersetzt werden. Dieser Typ wurde später
„Divisions-Espingole“ oder „Infanterie-Espingole“ genannt.
1817 war die Waffe einsatzbereit; als erstes wurde die Fregatte Minerva mit 20 Espingolen ausgestattet.
Bis 1818 wurde
die Marine jedoch immer unzufriedener mit der neuen Waffe, vor allem nachdem einige
Espingolen beim Laden oder Schießen explodiert waren. Um zumindest Unfälle beim
Laden zu verhindern, wurde daraufhin jedem Schiff ein Wachtmeister des
Raketenkorps zugewiesen.
Überhaupt
waren die Espingolen eine sehr problematische Waffe. Einmal gezündet, feuerte
sie immer weiter, bis der Lauf leer war. Fiel die Espingolenbedienung im Kampf,
konnten so auch die eigenen Leute in Gefahr geraten.
Das Laden der
Läufe war extrem aufwändig und im Einsatz nicht möglich; die Läufe wurden daher
in den Werkstätten des Raketenkorps vorgeladen. Für die Marine war das
untragbar, und so ging man dazu über, die Schiffsbesatzungen für das Laden der
Läufe auszubilden; auf längeren Fahrten mussten die Schiffe die für das Laden notwendige
Ausrüstung anstelle vorgeladener Läufe mitführen.
Espingolen für
die Armee wurden ab 1819 entwickelt. Ziel war es, eine Espingolen-Batterie aus
16 einläufigen Divisions-Espingolen und 2 dreiläufigen Kolonnen-Espingolen zu
schaffen. Als Schumacher am 3. Januar 1823 starb, war diese Batterie jedoch
noch nicht fertiggestellt; der neue Chef des Raketenkorps, Major Andreas Brun
von Meyer, führte seine Arbeit fort.
Es wurde eine
leichte, fahrbare Lafette entwickelt, um die Espingolen als
Infanterieunterstützung so mobil zu machen, dass sie vielleicht sogar mit der
Kavallerie mithalten konnten. Diese Entwicklung war 1824 abgeschlossen.
Ab 1823
konnten bei den Divisions-Espingolen gezogene Läufe eingesetzt werden, wodurch
eine Schussweite von ca. 313 Metern möglich wurde.
Weitere Entwicklungsaktivitäten betrafen zwei wesentliche Mankos der Espingolen: Sie hatten nicht die Reichweite von Kanonen, wurden aber aufgrund der großen Rauchwolke beim Abfeuern schnell von der feindlichen Artillerie unter Beschuss genommen.
Nach 1836
entwickelte daher Oberstleutnant Joachim Theodor von Lundbye, damals Chef des
Raketenkorps, eine Espingole mit höherer Reichweite, was durch größere Kugeln
und größere Pulverladungen bewirkt werden sollte. Damit konnte man bei einer
maximalen Kadenz von 120 Schuss in 40 Sekunden angeblich eine Reichweite von
625 Metern erreichen – im Vergleich zu einem Feldgeschütz, das mehr als einen
Kilometer weit schoss, immer noch zu wenig!
Eine Lösung bestand in der Schaffung von pferdegezogenen Espingolen, die sich schnell der Frontlinie entlang bewegen, ihre Schüsse abgeben und sich wieder entfernen konnten, bevor die die feindliche Artillerie Zeit hatte, zu reagieren.
Als Frederik VI. 1839 starb, organisierte sein Nachfolger, Christian der VIII., die Armee neu, nicht zuletzt, weil sie zu groß und zu teuer war. In diesem Zuge wurde das Raketenkorps 1842 aufgelöst und seine Ausrüstung der Artillerie zugordnet. In Konsequenz schwand das Interesse an den Espingolen und sie gerieten fast in Vergessenheit.
Zum Zeitpunkt
seiner Auflösung verfügte das Raketenkorps über 4 Batterien mit je 20
Divisions- und 4 Kolonnen-Espingolen sowie eine Batterie mit 16 Lundbye-Espingolen.
Darüber hinaus gab es 1.834 Rohre. Die Kriegsmarine hatte auf ihren Schiffen
760 Espingolen.
Als die
Schleswig-Holsteinische Erhebung 1848 begann, waren die gelagerten Espingolen
des Raketenkorps noch in einem guten Zustand. Dass man vorgeladene Läufe viele
Jahre lang lagern konnte, ohne dass sie Schaden nahmen, wusste man schon länger.
Bei einer Übung des Raketenkorps im Jahr 1834 wurden beispielsweise 9 Läufe
abgefeuert, die 1820 geladen worden waren, ohne dass es zu Problemen kam!
So konnte man
schnell eine Espingolen-Batterie mit 12 Divisions- und 4 Kolonnen-Espingolen
aufstellen. Auf verschiedenen Kriegsschauplätzen erzielten die Espingolen große
Erfolge.
1849 erfand
der Hofschmied N.J. Løbnitz eine Papierpatrone mit Spitzgeschoss, wodurch ein
schnelleres Laden der Läufe möglich wurde. Gezogene Läufe erhöhten die
Schussweite. Die Hauptrohre der Divisions-Espingolen wurden mit
Dahlhoff-Bogenvisieren in den Einteilungen 400, 600 und 800 Ellen (ca. 250, 375
und 500 Meter) ausgestattet.
Auch die Zündung wurde modernisiert. Bis dahin erforderte jede Espingole 3 Mann als Bedienpersonal: Einen Schützen, einen zweiten Mann, der die Lunte in der Laufmündung zündete und einen dritten, der mit einem frisch geladenen Lauf bereit stand. Løbnitz entwickelte einen Friktionszünder mit Seilzug, der es dem Espingolenschützen selbst ermöglichte, den Lauf zu zünden. Unabhängig davon setzte die Marine Perkussionsschlösser an der Laufmündung ein, die ebenfalls per Seilzug ausgelöst werden konnten.
Im
Deutsch-Dänischen Krieg von 1864 wurden die Espingolen zum letzten Mal
eingesetzt, allerdings ohne großen Erfolg. Eine Batterie mobiler Lundbye
Espingolen kam zum Einsatz, weitere Espingolen wurden in festen Stellungen
eingesetzt. Als die Deutschen am 18. April 1864 Dybbøl stürmten, wurden
angeblich die dort in Stellung gebrachten Espingolen abgefeuert; das Ergebnis
ist nicht bekannt.
Damit endete die militärische Verwendung der Espingolen; 1876 wurden sie offiziell ausrangiert.
Wer diesem Blog schon länger folgt, wird sich denken, dass ich mich nur mit fortifikatorischem Bezug so ausführlich über eine Waffe auslasse. Das trifft natürlich auch für die Espingolen zu.
Bei meinen
Recherchen zum Dannewerk fiel mir folgendes Foto aus dem Jahr 1864 in die
Hände, das eine Espingolenbatterie im Deutsch-Dänischen Krieg zeigt:
Die Espingolen sind hinter einem Wall in Stellung gebracht; links davon erkennt man eine Kirche.
Bei der Kirche handelt es sich um die Kirche St. Marien in Sønderborg, gegenüber Dybbøl am Ostufer des Als Sunds gelegen (im folgenden Bild links):
Natürlich hat mich interessiert, ob es heute noch Überreste der Batterie gibt, und ich denke, ich wurde fündig.
Die
verfügbaren DGM-Daten für dieses Gebiet haben zum Glück eine hervorragende
Auflösung; man erkennt den Rest des mutmaßlichen Batteriewalls sofort:
Das Gebilde liegt im Vorgarten eines Wohnhauses an der Kirke Allé; auch im Luftbild kann man es erkennen:
Die Batterie muss ursprünglich sehr viel länger gewesen sein und sich über die heutige Kirke Allé bis nah an die Kirche erstreckt haben. Welche Art von Espingolen das Foto zeigt, ist nicht klar zu erkennen, vermutlich einläufige Divisionsespingolen.