Donnerstag, 4. März 2021

Die Lunette d’Arçon

Heute geht es ein wenig zurück in der Zeit im Verhältnis zu meinem üblichen Betrachtungszeitraum. Thema ist eine Besonderheit des Festungsbaus im ausgehenden 18. Jahrhundert, die sogenannte Lunette d’Arçon. (Redaktioneller Hinweis: Die Deutsche Schreibweise ist natürlich „Lünette“, aber da es sich bei dem vorgestellten Lunettentyp aber um eine Französische Erfindung handelt, bleibe ich im Folgenden bei der Französischen Schreibweise).

Prinzipiell ist eine Lunette ein vorgeschobenes Verteidigungswerk mit 2 Facen (= Front- bzw. Feldseiten) und zwei Flanken, eine Beschreibung, die auch auf viele Forts des 19. Jahrhunderts zutrifft. Eine Lunette d’Arçon weist als Besonderheit einen runden, zweigeschossigen Turm auf, der als Reduit dient. Er ist über eine Traverse mit der Kontereskarpengalerie und (meist unterirdisch) mit dem Hauptwerk verbunden.

Erdacht wurde diese Konstruktion vom französischen Generalinspekteur für Befestigungen, Jean Claude Éléonore Le Michaud d´Arçon (1733 – 1800), dessen Namen sie trägt. Eine erste Version hatte er angeblich schon 1778 für Toulon erwogen, sie wurde aber nie gebaut. In seiner Schrift „Militärische und politische Betrachtungen zum Festungswesen“ schlug er 1795 vorgelagerte Werke zum Schutz von Gebieten vor, die von der Hauptfestung aus nur schwer oder gar nicht zu verteidigen waren, und verwendete erstmalig den Begriff „à la d’Arçon”. Die baulichen Details solcher Werke hatte er bereits 3 Jahre früher beschrieben.

Bis ins 19. Jahrhundert hinein wurden etliche Lunettes d‘Arçon errichtet, so in Saint-Omer, Metz, Besançon, Belfort, Mont-Dauphin, Perpignan, Mainz, Landau und Palmanova. Nur wenige davon existieren heute noch: Die von Mont-Dauphin ist die bekannteste, aber auch in Besançon, Perpignan und Palmanova sind noch einige erhalten.

Als Reaktion auf die Weiterentwicklung der Artillerie dienten vor allem die späteren Ausführungen der Lunette d‘Arçon weniger zur besseren Verteidigung des Vorfelds, sondern vor allem dazu, den Feind zu zwingen, seine Belagerung weiter von der Festung entfernt zu beginnen. Sie stellen somit eine Vorstufe zu den detachierten Forts des 19. Jahrhunderts dar.

Nachfolgend möchte ich auf einige Beispiele eingehen.

1) Mont Dauphin

Diese Festung beim gleichnamigen Ort im Département Hautes-Alpes an der Grenze zwischen Frankreich und Italien habe ich leider noch nicht besucht. Sie hat eine eigene Website, auf der man sich auch einen deutschsprachigen Führer downloaden kann. 
Ab 1792 wurde eine bereits 1728 errichtete einfache Lunette der Festung zu einer Lunette d’Arçon ausgebaut, wie sie heute noch existiert. Die Kehle der Lunette ist durch eine mit Schießscharten versehene Stumpfwinklige Mauer geschlossen, wie der nachfolgende Plan zeigt:

Schön erkennbar auch der Traversenbau, der vom Turm in Richtung Lunettenspitze führt.

2) Metz

Von der Lunette d’Arçon in Metz ist heute leider nichts mehr zu sehen; sie wurde Anfang des 20. Jahrhunderts eingeebnet und mit dem Krankenhaus Bon-Secours überbaut. Dieses alte Foto zeigt den Turm und die Reste der Wälle vor dem Abriss. 

Hier ein Plan des Werks:

3) Perpignan

Auch die Festung Perpignan hatte eine Lunette d’Arçon mit dem Namen „Lunette de Canet“. Die Lunette selbst ist heute vollständig verschwunden; einzig der beeindruckende Reduit-Turm ist noch erhalten. Hier gibt es ein Foto des Turms; besucht habe ich ihn bisher nicht, er ist aber auf jeden Fall auf meiner Bucket List.

4) Landau

In Landau wurden die Reste der Lunette 41 wiederentdeckt und werden gegenwärtig restauriert. Erhalten ist ein Teil des Mauerwerks der Lunette sowie das Fundament des Turms; Traverse und Spitze der Lunette liegen unter der benachbarten Bahntrasse.

Der Festungsbauverein Landau (Les Amis deVauban) betreibt eine Seite über die Festung Landau und bietet auch Führungen durch das unterirdische Gangsystem, das über den Turm der Lunette 41 erschlossen wurde, an.

Bei meinem Besuch 2020 fanden Covid-19-bedingt leider keine Führungen statt, so musste ich mich mit einer knappen Begutachtung von außerhalb des Bauzauns aus begnügen:





Unter dieser Plane ist das Turmfundament verborgen; rechts im Hintergrund sieht man die Bahntrasse, unter der wahrscheinlich die Reste der Traverse und der Lunettenspitze liegen:

5) Mainz

Die Angabe, die Festung Mainz habe ebenfalls eine Lunette d’Arçon gehabt, fand ich in einer französischen Quelle. Verifizieren konnte ich das bisher nicht. Ich bin lediglich auf die (heute verschwundene) Lunette auf der Petersaue, einer Rheininsel, gestoßen, die einen Turm aufwies; dabei dürfte es sich aber wahrscheinlich nicht um einen Tour d’Arçon gehandelt haben, sondern um einen Montalembertschen Artillerie-Turm.

6) Palmanova

Im Luftbild lassen sich mindestens 6 von ehemals 9 der der sternförmigen Hauptfestung vorgelagerte Lunetten mit Gebäuden (auf Italienisch „Lunette Francesi“) ausmachen, die allerdings von der sonst üblichen Form der Lunette d’Arçon abweichen: Die in der Kehle gelegenen Gebäude sind nicht rund, sondern rechteckig; nur die ins Lunetteninnere weisende Seite ist gerundet. Eine zentrale Traverse scheint auch bei allen 6 Lunetten zu fehlen. Bei meinem Besuch 2019 habe ich leider keine Fotos dieser Lunetten gemacht; auf Google Maps gibt es eine schöne Aufnahme des Reduitgebäudes der südöstlichen Lunette.

7) Besançon

2012 konnte ich im Rahmen einer Festungsexkursion nach Besançon eine der dortigen Lunettes d’Arçon in Augenschein nehmen, die Lunette de Trois Châtels (auf manchen Karten auch „Fort de Trois Châtels“ genannt).

Diese Lunette und ihr Schwesterwerk, die Lunette de Tousey, befinden sich auf den Flanken des Mont Saint-Étienne, süd-südöstlich der Zitadelle; Trois Châtels ist nach Norden ausgerichtet, Tousey nach Westen. Beide Lunetten können entweder als eine Art dritte Verteidigungslinie auf dem linken Doubs-Ufer angesehen werden oder als Bestandteil der zentralen Verteidigungslinie, der Zitadelle vorgelagert.

Der Standort war bereits im 17. Jahrhundert von Vauban für eine leichte Befestigung in Erwägung gezogen worden. Es dauerte allerdings bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, wahrscheinlich zwischen 1791 und 1794, bis die beiden Lunetten durch General d'Arçon errichtet wurden. Dies geschah allerdings in solcher Eile, dass aus Fehleinschätzungen des Geländes und der überstürzten Vorgehensweise deutliche konstruktive Mängel resultierten.

Die beiden Festungswerke erhielten zunächst offiziell die Namen “Lunette de Rostaing“ (Trois Châtels) und „Lunette d’Arçon“ (Tousey), aber genau wie bei den anderen Forts rund um Besançon setzten sich bald die gebräuchlichen Ortsnamen durch.

1814, also kurz nach der Einweihung, waren beide Lunetten bereits so baufällig, dass sich während des napoleonischen Feldzugs gegen die Alliierten die französischen Befehlshaber weigerten, sie zu besetzen. Während der darauffolgenden Restauration wurden die Lunetten verstärkt.

Weder während des Krieges von 1870 noch des ersten Weltkriegs waren die Lunetten in Kampfhandlungen verwickelt, dafür aber am 7. September 1944 bei der Befreiung von Besançon durch die Amerikaner.

Nachdem beide Lunetten nach dem Krieg einige Zeit verlassen waren, gerieten sie in Privatbesitz. Der neue Eigentümer gestaltete die Lunette de Tousey in ein bemerkenswertes Wohnhaus um; Trois Châtels wurde zum Zeitpunkt meines Besuchs noch restauriert und konnte nur von außen besichtigt werden.

Beide Festungswerke bestehen als typische Lunettes d‘Arçon aus einem großen, dreieckigen Retranchement, auf der Kehlseite offen und mit vorgelagertem tiefem Graben, einem turmförmigen Reduitgebäude, das unterirdisch mit einem Grabenkoffer in der Gegenböschung verbunden ist, und einer Traverse mit Gewölbeunterstand. Einen schönen Plan findet man hier.

Nachfolgend ein paar Aufnahmen der Exkursion von 2012. Als erstes der Reduit-Turm:


Die Kontereskarpe mit Galerie:



Der Reduit-Turm innen:



Am rechten Rand des nächsten Bildes erkennbar: Der turmseitige Zugang zur Traverse



Seitlicher Zugang zur Traverse:


Im Inneren der Traverse:


Blick von der Lunette zur Zitadelle von Besançon:

Zum Schluss noch ein Blick aus der Ferne auf die Lunette de Tousey:

Weitere Bilder gibt es auf der Seite von Andreas Liebold, der 2012 ebenfalls dabei war.

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