Samstag, 25. Juni 2022

Loch Ewe, zweiter Teil: Das Ostufer

Zu Beginn dieses Berichts eine Karte der Gegend um Loch Ewe:

(© Open Street Maps Mitwirkende)

Legende:

1 - Poolewe
2 - Halbinsel mit diversen Relikten
3 - Tournaig Farm
4 - CASS (Convoy Anchorage Signal Station)
5 - Aussichtspunkt
6 - Aultbea
7 - Mellon Charles
8 - Rubh' a' Choin
9 - Leacan Donna

Von Gairloch kommend stößt man in Poolewe (1) erstmals auf Loch Ewe. Erwähnenswert: Das Poolewe Hotel, in dem eine Einheit des Armee-Nachrichtendienstes untergebracht war, und das Pool House Hotel, im Krieg eine Offiziersunterkunft. Prinzipiell lässt sich auch die Halbinsel hinter dem Inverewe Garden (2) nach Resten von Einrichtungen aus dem Krieg erkunden, das haben wir aber nicht getan. Es gibt dort wohl Überreste eines Camps sowie Verankerungspunkte für Fesselballons.

Nächster „Point of Interest“ am Ostufer ist die Tournaig Farm (3). Die Farmgebäude selbst haben eine militärische Anmutung, ich konnte allerdings bislang nicht herausfinden, ob sie wirklich militärischen Ursprungs sind. 

Anfahrt aus Richtung Poolewe (Dashcam-Aufnahme):

Die Farmgebäude:

Die Farm war im Krieg das Hauptquartier der für die Fesselballons verantwortlichen Einheit. Diese Fesselballons dienten ab 1941 als zusätzliche Absicherung gegen Flugzeugangriffe. Zu Spitzenzeiten waren gut 50 davon in der Luft, verankert am gesamten Ufer des Lochs, auf der Isle Ewe und auch auf einzelnen Schiffen. Die meisten davon wurden allerdings von Stürmen weggeweht, so dass man sehr schnell wieder davon abkam. Es gibt Anekdoten, dass die Zivilbevölkerung die Reste der verlorengegangenen Ballons aufsammelte und daraus Taschen, Abdeckungen für Heuballen und andere Gebrauchsgegenstände herstellte.

Abseits der Farm, nah am Wasser, erkennt man einen relativ neuen Blechschuppen; im Vorgängerbau an gleicher Stelle wurden die Fesselballons aufgeblasen:

Gegenüber den Farmgebäuden gibt es einen alten, windschiefen Blechschuppen, der ebenfalls militärisch anmutet; er kann zumindest als Anhaltspunkt dafür dienen, wie der Hangar zum Aufblasen der Ballons einmal ausgesehen haben könnte: 

Zwischen der A382 und dem neuen Blechschuppen befindet sich außerdem noch der aus Ziegeln gemauerte, zur Ballonstation gehörende Wasserturm:

Spektakulärer als die Reste der Fesselballon-Einrichtungen ist allerdings die schwere Flugabwehr-Batterie, die sich links der A832 gleich hinter der Farm auf der linken Seite befindet.

Der heutige Besitzer möchte augenscheinlich nicht, dass die Anlage betreten wird; die umgebende Steinmauer ist durch zusätzliche Pfosten mit Drahtbespannung erhöht worden. Zugang zur Batterie haben nur die Schafe, die sie als Rückzugsort und wohl als Stall nutzen.

Die Batterie besteht aus 4 betonierten Stellungen für 3,7-Zoll-Flugabwehrgeschütze und einem Feuerleitstand. Ein Zielradar (GL [= Gun Laying] Radar Mk. II) war angeblich auch installiert, aber mangels detaillierterer Unterlagen konnte ich dafür vor Ort keine Hinweise finden, ebenso wenig wie für die ehemaligen Unterkunftsbaracken.

Hier ein Foto eines fest montierten 3.7-inch QF AA Geschützes:

(lizensiertes Foto von Jim Linwood)

An dieser Stelle noch in Hinweis: Mein eigentliches Themengebiet ist die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Militärtechnik des 2. Weltkriegs (Bewaffnung, Befestigungen, sonstige Technik) ist nicht meine Expertise. Aus diesem Grund werden sich die ersten 3 Teile des Beitrags über Loch Ewe nur sehr oberflächlich mit den vor Ort sichtbaren Relikten befassen; es wird keine Pläne oder detaillierte Erklärungen geben. Der geneigte Leser möge diese 3 Teile eher als einen Reisebericht sehen, der durchaus zur Nachahmung anregen soll. Erst Teil 4 wird sich wieder mit dem 1. Weltkrieg befassen, da gibt es dann auch wieder militärtechnische Details.

Hier ein paar Impressionen der Flugabwehrbatterie. 

Anfahrt aus Richtung Poolewe (Dashcam-Aufnahme); im Hintergrund der Wasserturm, im Vordergrund links hinter der Steinmauer (leider schlecht erkennbar) die Batterie:

Anfahrt aus der Gegenrichtung, also von Aultbea (Dashcam-Aufnahme):

Blick von Norden auf die Batterie:

Eine der Geschützpositionen:

Dieses Bild hängt im Russian Arctic Convoy Museum in Aultbea. Es zeigt eine der schweren Flugabwehrbatterien von Loch Ewe, die prinzipiell alle sehr ähnlich aufgebaut sind:

Interessanterweise handelt es sich bei dem Flugabwehrgeschütz im Vordergrund um eine mobile, d.h. nicht fest installierte Version. Welche von beiden Versionen in der Tournaig Batterie im Einsatz war, ist unklar.

Weiter entlang am Ostufer von Loch Ewe.

Irgendwo hinter Tournaig Farm gibt es rechterhand eine leichte Flugabwehrstellung, die ich von der Straße aus nicht eindeutig ausfindig machen konnte. Auch im Luftbild konnte ich keine Struktur eindeutig einer Flugabwehrstellung zuordnen.

Links der Straße kommt irgendwann ein rechteckiges gemauertes Gebilde; das dürfte einer ehemaligen Convoy Anchorage Signal Station (CASS) zuzuordnen sein (4). Wen das näher interessiert: Auf der Flickr-Seite von J.M. Briscoe gibt es eine ganze Reihe Fotos davon. Ich habe lediglich im Vorbeifahren ein paar Dashcam-Aufnahmen gemacht.

Aus Richtung Poolewe:

Aus der Gegenrichtung, d.h. von Aultbea kommend:

Nächster interessanter Punkt ist das Fotomotiv des Teasers. Es gibt dort einen Parkplatz, den man schon alleine wegen der grandiosen Aussicht ansteuern sollte: Man überblickt von dieser erhöhten Position aus die Convoy-Ankerplätze von Loch Ewe, die dazwischen liegende Isle Ewe und den Ort Aultbea. Es gab drei Ankerplätze: Westlich von Isle Ewe ankerten die Handelsschiffe, zwischen Isle Ewe und Aultbea die Kriegsschiffe und in der Tournaig-Bucht Munitionsschiffe, die man verständlicherweise von den anderen Schiffen separieren wollte.

Im Hintergrund links liegt Isle Ewe. Die Landzunge ungefähr in der Bildmitte ist Mellon Charles, der Ort um die Bucht am rechten Bildrand ist Aultbea. Das rechteckige Konstrukt auf dem Wasser im Vordergrund ist ein "NATO refuelling jetty", dient also zum Auftanken von Schiffen der Nato, die im Loch Ewe auch regelmäßig Manöver abhält.

Weiter nach Aultbea (6). Biegt man von der Landstraße in den Ort ab, passiert man das Aultbea Hotel, das heute außer Betrieb ist:

Folgt man der Straße weiter, erreicht man einen merkwürdigen Bau, ein rechteckiges Gebäude mit einer angehängten überdimensionierten Nissen Hut. Im Krieg war das das Truppenkino; heute steht es leer, ist offenbar in Restaurierung und soll angeblich als Gemeindezentrum dienen:

Die meisten anderen Einrichtungen des 2. Weltkriegs konzentrierten sich auf die Landzunge, die im auch noch heute genutzten Pier ausläuft. Hier gab es Lagergebäude, Büros, Unterkünfte, Verladeeinrichtungen etc.: wir haben das aber nicht näher in Augenschein genommen:

Ein Stück hinter dem ehemaligen Truppenkino stößt man auf eine schwere Flugabwehrstellung. Heute ist nur noch eine der ehemals 4 Geschützstellungen übrig, der Rest wurde eingeebnet.

Hinweis in diesem Zusammenhang: Am Ende von Teil 3 werde ich die GPS-Daten der wichtigsten Objekte auflisten, deshalb gibt es hier im Text keine weiteren Positionsangaben.



Folgt man der Straße weiter, kommt man nach ca. 3km nach Mellon Charles (7).

Hier begann die dreiteilige U-Boot-Sicherung. 

Ein Anti-U-Boot-Netz verlief von hier aus über die kleine Insel Sgeir an Araig bis zur Westküste des Lochs, ein weiteres schräg davor bis zur Landzunge Sròn nan Oban am Westufer. 

Nächstes Element der Verteidigungsstruktur gegen U-Boote war ein Gürtel von fernzündbaren Minen zwischen Leacan Donna nordwestlich von Mellon Charles und der Spitze des Wertufers. Dazu kursiert eine Anekdote: Als der Minengürtel nach dem Krieg gesprengt wurde, setzte im Anschluss ein Wettrennen der lokalen Fischer ein, um die an der Wasseroberfläche treibenden toten Fische einzusammeln!

Wieder ein wenig vorgelagert, von Slaggan Bay im Osten bis zur kleinen Insel Eilean Furadh Mor im Westen, verlief eine Indikatorschleife als Frühwarnsystem. Das Prinzip dieser Schleife bestand auf der Induktion eines Stromflusses, sobald sich ein Magnet (in diesem Fall das Magnetfeld eines U-Boots) über die stationäre Schleife bewegte. Diese Technologie wurde von der Royal Navy schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt und erstmalig gegen Ende des 1. Weltkriegs eingesetzt.

Mellon Charles beherbergte ein großes „Boom Depot“, in dem Anti-U-Boot-Netze samt Zubehör (z.B. Verankerungen, Schwimmkörper, Kabel) gelagert wurden. Das Areal ist riesig und kann weitestgehend begangen werden. Die meisten Gebäude sind verschwunden; ihre Fundamente kann man beispielsweise gut auf diesem Foto der Canmore-Seite (Online Katalog der archäologischen Stätten, Gebäude sowie des industriellen und maritimen Erbes von Schottland) erkennen. 

Ansonsten gibt es noch die Reste eines Piers, eine Aufschleppe und eine Ansammlung von Betonverankerungen des Netzes zu sehen. In der Nähe findet man außerdem einige Nissen Huts.

Blick auf das Depotgelände von Nordosten:

Auf dem Depotgelände:

Aufschleppe ("Slipway"):

Reste des Piers:

Betonanker für das Anti-U-Boot-Netz:

Eine renovierte Nissen Hut. Hier ein Link zu einem Foto, das diese Nissen Hut vor einigen Jahren zeigt. Von der Originalsubstanz dürfte heute außer dem Fundament nicht mehr viel übrig sein:

Eine weitere Nissen Hut:

Checkpoint nördlich von Mellon Charles:

Unser Hauptziel in Mellon Charles war allerdings die schwere Flugabwehrbatterie auf der Halbinsel Rubh' a' Choin (8). Sie folgt in ihrem Aufbau dem bekannten Muster, 4 betonierte Geschützstellungen mit einer Feuerleitstation, jedoch ohne Feuerleitradar. Laut Literatur soll es sich um eine 3.7-inch Flugabwehrbatterie gehandelt haben, die Befunde in den Stellungen lassen aber auf eine uneinheitliche Bewaffnung schließen.

Im Gegensatz zu Aultbea ist die Rubh' a' Choin Batterie noch komplett erhalten, und im Gegensatz zur Batterie Tournaig Farm kann sie auch (noch) betreten werden:

Das „noch“ in Klammern bezieht sich auf den Umstand, dass die Bebauung immer näher an die Batterie rückt. Dieser Bebauung sind bereits die Betonfundamente der militärischen Unterkünfte zum Opfer gefallen, und ich fürchte, der Zugang zur Batterie wird irgendwann nicht mehr möglich sein, sofern sie nicht sowieso verschwindet.

Aufeinandergestapelte Reste eines Wk2-Betonfundaments, im Hintergrund ein Neubau:


Ein paar Eindrücke des Feuerleitstands:






Die nördliche Geschützstellung:

Die Geschützstellungen bieten einige Besonderheiten. Das fängt mit den noch vorhandenen Beschriftungen im Inneren einiger Nischen an, auf die ich im späteren Verlauf noch eingehe.

Die zweite Besonderheit ist eine ummauerte Aufschüttung in der nördlichen Geschützstellung. Fotos von J.M. Briscoe aus dem Jahr 2013 weisen darauf hin, dass auch andere Stellungen als nur die nördliche diese Modifikation hatten, die aber heute kaum noch erkennbar sind.

Es gibt Vermutungen, dass die Stellungen damit für eine andere Bewaffnung modifiziert werden sollten, aber dazu konnte ich nichts Konkreteres in Erfahrung bringen oder vor Ort entdecken. Möglicherweise wollte man auf diesen Rampen mobile Geschütze statt der in Bettungen fixierten einsetzen. Angeblich wurde die Batterie 1943 entwaffnet; auf Luftbildern aus dem Jahr 1946 sind aber laut CANMORE noch Tarnnetze und nicht näher erkennbare Bewaffnung erkennbar.

Nahaufnahme der ummauerten Aufschüttung:

Detailaufnahme des Mauerwerks:

Merkwürdigerweise gibt es auch in den Nischen Reste von Mauerwerk:

Eine der eingangs erwähnten Beschriftungen; es geht um diverse Ölsorten:

Ein Untertretraum für die Mannschaften:

Nordwestliche Geschützstellung:

Geschützbettung. Hier müsste ein 3.7-inch QF (Quick Fire) AA (Anti Aircraft) Geschütz positioniert gewesen sein. Der Durchmesser des Schraubbuchsenrings beträgt ungefähr 2,15 Meter, die beiden großen Buchsen sind 275° W ausgerichtet:


Westliche Geschützbettung:

In einer der beiden großen Schraubbuchsen ist noch eine Verankerungsöse eingeschraubt. Die Bettung ist mit einem Durchmesser von ca. 1,50 - 1,75 Metern deutlich kleiner als in der nordwestlichen Stellung, muss also für ein anderes Geschütz vorgesehen gewesen sein. Die beiden großen Schraubbuchsen sind 240° WSW ausgerichtet.


Ein Ziegel einer Abdeckung einer Elektroleitung, den ich noch nicht datieren konnte (das Ziegelwerk H.J. Baldwin in Nottingham war von 1936 bis in die 90er Jahre in Betrieb). Ich denke nicht, dass der Stein mit der Batterie assoziiert werden kann. In den Geschützstellungen ist so viel Müll abgelagert, dass er höchstwahrscheinlich Bauschutt eines Gebäudes in der Nähe ist:

Südwestliche Geschützstellung:

Die Bettung hat den gleichen Durchmesser wie die in der westlichen Stellung. Die beiden großen Schraubbuchsen sind 206° SSW ausgerichtet:


In dieser Nische konnten Helme und vermutlich Gasmasken aufgehängt werden (die Schrift ist im Lauf der Zeit leider unleserlich geworden):

Das folgende Foto zeigt die südwestliche Stellung von der Seeseite. Warum man die Stellung aus Beton gebaut, den Untergrund aber nur mit einer Steinmauer und nicht ebenfalls mit Beton abgesichert hat, erschließt sich mir nicht:

Von der Batterie führt eine schmale Brücke hinüber zur Insel Eilean Rubh' a' Choin:

Ob die beiden bunkerähnlichen Gebäude militärischen Ursprungs sind, ist unklar:

Auf der Anhöhe neben den Gebäuden befindet sich eine Betonplattform, die entfernt an eine leichte Flugabwehrstellung ("Threepenny Bit") erinnert, aber dafür viel zu klein ist. Eine 40mm Bofors-Kanone hätte hier definitiv keinen Platz gehabt, allenfalls ein Maschinengewehr, was aber angesichts der benachbarten schweren Flugabwehrbatterie unlogisch wäre. Ich persönlich vermute hier eher einen Flaggenmast oder eine Signalvorrichtung:

Im 4. Teil dieses Reiseberichts komme ich nochmal auf die Rubh' a' Choin Batterie und Eilean Rubh' a' Choin zurück – ihre Geschichte reicht nämlich bis in den ersten Weltkrieg zurück, doch dazu wiegesagt später mehr.

Prinzipiell hätten wir auch noch die Reste der Einrichtungen in Leacan Donna (9) ansehen können (hier gab es eine CASS, mindestens eine leichte Flugabwehrstellung, außerdem wurden von hier aus die oben erwähnten Minen ferngezündet); das haben wir zwar nicht gemacht, es steht aber auf unserer Bucket List für den nächstjährigen Besuch.

Hier endet der zweite Teil; der dritte wird sich mit dem Westufer von Loch Ewe befassen.

Übersicht der siebenteiligen Berichtsreihe über Loch Ewe inklusive Teaser / Overview of the five-part series of reports on Loch Ewe including teaser:

Teaser (Deutsch)

Loch Ewe, erster Teil (Deutsch)

Loch Ewe, zweiter Teil: Das Ostufer (Deutsch)

Loch Ewe, Teil 3: Westufer und Gruinard Bay (Deutsch)

Loch Ewe in the Great War (English)

Ru Con Battery (English)

Teaser: News from Ru Con Battery (English)

Ergänzung zu den Loch Ewe Reiseberichten (Deutsch)

Dienstag, 21. Juni 2022

Loch Ewe, erster Teil

Der Teaser in meinem letzten Beitrag bezog sich auf meinen diesjährigen Sommerurlaub.

Urlaubsreisen bereite ich gerne sehr detailliert vor. Dieses Jahr sollte es im Frühsommer mal wieder nach Schottland gehen, und eins der Reiseziele sollte Wester Ross an der Nordwestküste sein, genauer Loch Ewe, wovon wir uns Ruhe und Abgeschiedenheit erhofften.

Nun, Loch Ewe ist in der Tat eine ruhige und abgeschiedene Ecke, ein breiter Meeresarm mit einer großen Insel, umgeben von einer majestätischen Bergwelt. Schottland wie aus dem Bilderbuch!

So einsam und abgeschieden war es dort allerdings nicht immer. Bei meinen Reisevorbereitungen stieß ich schnell darauf, dass in der Gegend vor ungefähr 80 Jahren jede Menge los war und es dort viel mehr Menschen gab als heute … Richtig, es geht um den zweiten Weltkrieg. Ist zwar eigentlich (mal wieder) nicht der Scope dieses Blogs, aber dennoch höchst berichtenswert.

Zunächst ein paar Worte zum militärhistorischen Hintergrund.

Kurz nach Beginn des 2. Weltkriegs befürchtete die britische Admiralität deutsche Bomberangriffe auf den damaligen Flottenhafen Scapa Flow und ordnete an, Loch Ewe an der schottischen Nordwestküste als temporären Flottenstützpunkt einzurichten. Bereits 2 Monate später wurde dieser Plan allerdings wieder verworfen, weil die vorhandenen U-Boot-Abwehr-Vorrichtungen von Loch Ewe als zu wenig wirkungsvoll beurteilt wurden. Ein paar Tage später wurde ein britisches Schiff, die HMS Nelson, bei der Einfahrt in das Loch Ewe durch eine von einem deutschen U-Boot gelegte Magnetmine schwer beschädigt, was diese Entscheidung bestätigte.

Loch Ewe diente danach zunächst nur als Ausweichhafen, später als Auftankbasis für Convoys, wodurch es mehr und mehr Bedeutung erlangte. Im Juni 1941 wurde das Dorf Aultbea an der Ostseite des Lochs unter dem Namen „HMS Helicon“ zur Operationszentrale; ab 1942 diente Loch Ewe dann als Sammel- und Ausgangspunkt für die „Arctic Convoys“, die Russland über Murmansk und Archangelsk versorgten. Bis Kriegsende wurden auf diesem Weg mehr als 4 Millionen Tonnen Versorgungsgüter nach Russland geliefert, darunter Flugzeuge, Panzer, LKWs, Nahrungsmittel,  Treibstoff, Munition, Telefonkabel und vieles mehr.

Die Convoyrouten waren dabei sehr gefährlich: Außer Minen und Angriffen durch deutsche U-Boote und Flugzeuge setzten auch die extremen Witterungsbedingungen (Kälte, Eis & Schnee, Stürme, Seegang) den Convoys zu. Bis Kriegsende gingen 85 Handelsschiffe und 16 britische Kriegsschiffe verloren; insgesamt 3.000 alliierte Seeleute verloren ihr Leben.

Wie eingangs angedeutet war auch Loch Ewe selbst gefährdet; das Eindringen des deutschen U-Boots U-31 in das Loch am 27. Oktober 1939 sowie 4 deutsche Luftangriffe 1941 zeugen davon.

Ab Ende 1939 wurden die ersten Flugabwehrstellungen am Loch Ewe etabliert. Die Landspitze Rubha nan Sasan am linken Loch-Ufer erhielt eine Küstenbatterie, die Einfahrt zum Loch wurde mit Anti-U-Boot Netzen, Detektorenschleifen und fernzündbaren Minengürteln gegen U-Boote abgesichert. Auf die einzelnen Verteidigungseinrichtungen gehe ich später ein.

Ab dem Jahreswechsel 1944/45 wurde Loch Ewe als Convoy-Sammelpunkt zugunsten des Clydes wieder aufgegeben; am 6. August 1945 stellte HMS Helicon den Betrieb ein.


(Aultbea, mit der Dashcam aufgenommen)

Wie fängt man nun am besten an, wenn man beschreiben will, was es am Loch Ewe alles zu sehen gibt? Am besten, indem man einen großen Kreis mit 88km Radius um Poolewe im Süden von Loch Ewe zieht. Der militärische Sicherheitsbereich begann im Krieg nämlich bereits am Bahnhof Inverness; alle Zugreisenden in Richtung Achnasheen wurden bereits dort ausführlich überprüft.

Eine weitere Kontrollstation gab es in Achnasheen, 37 km südöstlich von Poolewe, die nächste war in Gairloch. Ein Kontrollpunkt in Laide sicherte die nordöstliche Zufahrt zum Loch Ewe.

Diese Checkpoints sind auch heute noch erhalten, wenngleich sie auch mittlerweile völlig anderen, nichtmilitärischen Zwecken dienen: Das Gebäude in Achnasheen bei der Telefonzelle wurde renoviert und dient offenbar als Wohnhaus (die Kennzeichnung „Old Checkpoint“ weist auf die Verwendung im Krieg hin). Der Checkpoint in Laide ist heute ein General Store mit Tankstelle und Postbüro, und der Kontrollpunkt in Gairloch beherbegt einen Supermarkt:

(Ehemaliger Checkpoint in Gairloch, mit der Dashcam aufgenommen)

Die Straße zwischen Inverness und Laide scheint auch fortifikatorisch abgesichert gewesen zu sein. An der Landstraße A35 befindet sich bei den Koordinaten 57.595083, -4.663889 ein Bunker mit Schießscharte. Zum Anhalten zwecks näherer Untersuchung gibt es dort leider keine Gelegenheit; soweit ich herausfinden konnte, steht der Bunker im Inneren trotz Hanglage unter Wasser.

Unsere Anreise zum Loch Ewe führte uns von Achnasheen aus über Kinlochewe am Loch Mairie entlang nach Gairloch.

Gairloch war, obwohl es nicht am Loch Ewe liegt, im Krieg geprägt von militärischer Präsenz. Das Gelände des heutigen Golfclubs, das man von Süden kommend zuerst passiert, diente der Home Guard als Schießanlage; die Kugelfänge im Green sind auch heute noch gut erkennbar. Das Clubhaus war damals eine Militärkantine, in der Nähe befanden sich Einrichtungen des Royal Army Service Corps. Fährt man weiter, kommt man am Gairloch Hotel vorbei, das im Krieg als Lazarett fungierte. Wer mit einer Übernachtung dort liebäugelt, sollte bei der Zimmerwahl beachten, dass Zimmer Nr. 5 die Leichenhalle war!


Nach dem Hotel folgt der bereits erwähnte Kontrollpunkt, der heute einen Supermarkt beherbergt, und schon geht es wieder hinaus aus Gairloch, den Berg hoch und hinein in eine atemberaubende, karge und majestätische Landschaft. Hier gilt es aufzupassen: Am Loch Tollaidh zweigt bei 57.747300, -5.620222 ein Schotterweg von der Landstraße A832 ab. Folgt man diesem Weg, erreicht man nach 300 Metern eine Gruppe grasbewachsener Hügel; auf dem Weg dahin passiert man diverse Betonfundamente links und rechts des Weges. Des Rätsels Lösung: Bei den Hügeln handelt es sich um die zugeschüttete Flugabwehrbatterie „Loch Tollaidh“ (Synonyme: Blar na Cloiche, Loch Tollie). Sie bestand aus 4 betonierten Stellungen für 3,7-Zoll-Flugabwehrgeschütze und einem Leitstand. Bei den Betonfundamenten handelt es sich um die Reste der Unterkünfte. Es muss damals gut 40 Gebäude gegeben haben, vermutlich sogenannte Nissen Huts, also Gebäude mit halbrundem Profil aus Fertigbauteilen.

Die Batterie wurde nach dem Krieg zunächst als Mülldeponie missbraucht (davon zeugen leider immer noch Spuren) und dann zugeschüttet.

Die nachfolgenden Fotos geben einige Impressionen.

Zufahrtsweg zur Batterie. Der linke Hügel war eine der Geschützstellungen, der sich am rechten Bildrand abzeichnende der Feuerleitstand: 


Blick zurück in Richtung Loch Tollaidh:

Und nochmal Loch Tollaidh:

Blick vom Batterieinneren in Richtung Süden. Links der ehemalige Feuerleitstand, rechts eine Geschützstellung, links im Vordergrund der Ansatz einer weiteren Geschützstellung:

Weiter geht es nach Poolewe, wo man Loch Ewe erreicht, doch dazu mehr im nächsten Blogbeitrag. Aufgrund der Menge an Material wird es noch mindestens 3 weitere Blogbeiträge geben.

Übersicht der siebenteiligen Berichtsreihe über Loch Ewe inklusive Teaser / Overview of the five-part series of reports on Loch Ewe including teaser:

Teaser (Deutsch)

Loch Ewe, erster Teil (Deutsch)

Loch Ewe, zweiter Teil: Das Ostufer (Deutsch)

Loch Ewe, Teil 3: Westufer und Gruinard Bay (Deutsch)

Loch Ewe in the Great War (English)

Ru Con Battery (English)

Teaser: News from Ru Con Battery (English)

Ergänzung zu den Loch Ewe Reiseberichten (Deutsch)