Sonntag, 25. Oktober 2020

Die Lünette 83 in Germersheim

Zu den Exponaten des Germersheimer Festungsmuseums gehört unter anderem auch ein großes Modell der heute weitgehend geschleiften Festung. Bei meinem Besuch im Juni dieses Jahres fiel mir unter den Kasernen, Fronten, Vorwerken und Vesten vor allem ein Festungselement auf, dem ich bis dahin noch keine Beachtung geschenkt hatte: Die Lünette 83


Sie war der Südwestfront der Festung zwischen Fronte Beckers und Fronte Schmauß vorgelagert; am rechten oberen Rand des Fotos erkennt man das nördliche Reduitgebäuder der Fronte Schmauß.
Bemerkenswerterweise ist diese Lünette in keinem der mir vorliegenden Germersheimer Festungspläne eingezeichnet; selbst auf der Übersichtskarte im Festungs-Flyer der Stadt Germersheim ist sie nicht zu sehen. Kuriosum am Rande: Im Internet wird das Kreuzblockhaus gerne als "Burg" oder "Schloss" bezeichnet - ist aber nichts dergleichen, doch dazu später mehr.

Die Wälle der Lünette scheinen mittlerweile weitgehend verschwunden zu sein, das Kreuzblockhaus ist jedoch noch erhalten. Bei Google Maps ist es deutlich in einem Wäldchen an der Straße "An der Lunette" erkennbar:


Leider ist das Grundstück Privatbesitz und kann nicht betreten werden. Von der Straße aus ist durch den dichten Bewuchs nichts von dem Kreuzblockhaus erkennbar.

Der folgende Plan vermittelt einen Eindruck, wie die Lünette 83 ursprünglich ausgesehen haben muss:


Angaben zu den Dimensionen konnte ich bislang nicht finden. Das Kreuzblockhaus nahm ungefähr eine Fläche von 40 x 40 Metern ein.

Bei einer Lünette handelt es sich um ein einer polygonalen Festung vorgelagertes Verteidigungswerk mit zwei Fasen, zwei Flanken und einer offenen Kehle. Auch die Lünette 83 diente primär der Verteidigung; in Friedenszeiten wurde das zweigeschossige Kreuzblockhaus allerdings als Friedenspulvermagazin genutzt ("Friedens-Pulver-Magazin No 1").

Der nächste Plan zeigt die Regalierung des Erdgeschosses.


Legende:
Die roten Ziffern 1 - 4 bezeichnen die einzelnen Flügel des Kreuzblockhauses.
Die schwarzen Ziffern 1 - 15 sind die Regalnummerierungen
Bei den Gebilden A und B handelt es sich um Anbauten, vermutlich aus Holz
Die kleinen braunen Quadrate im Inneren sind die Stützpfosten der hölzernen Zwischendecke

Aus einem Belegungsplan unbekannten Datums geht hervor, dass die Regale im Erdgeschoss den verschiedenen Werken zugeordnet waren. Die Regalbelegungen sind mit Bleistift eingetragen, und an einigen Stellen sieht man deutlich, dass frühere Eintragungen entfernt und durch neuere ersetzt wurden. Die nachfolgende Tabelle zeigt den letzten Belegungsstand, soweit ich ihn entziffern konnte:

1

Unleserlich (Ysenburger Fronte?)

2

Veste Wrede

3

Veste Wrede

4

Veste Deroy

5

Veste Deroy

6

Fronte Beckers

7

Fronte Beckers

8

Fronte Schmauß

9

Fronte Lamotte & Fronte Diez

10

Vorwerk Vincenti

11

Fronte Hertling

12

Leer

13

Leer

14

Unleserlich

15

Unleserlich

16

Unleserlich

A

Fronte Hertling

B

Utensilien


Für das Obergeschoss ist das Inventar eher allgemein angegeben; lediglich für ein Regal konnte ich die Zuweisung zur Fronte Hertling identifizieren. Es wurde gelagert:
- Sprengpulver
- Geschütz-Blättchen-Pulver
- "Minderbrauchbares Pulver"
- Grobkörniges Pulver
- Geschützpulver
- Kartuschen
- Munitionsreserve

In Kriegsszeiten wäre die Lünette 83 als Verteidigungswerk natürlich mit Geschützen ausgestattet gewesen. Ich bin auf die Angabe von 12 6-Pfündern und 10 Mörsern gestoßen; der folgende aus einem alten Original aufbereitete Plan, in dem die möglichen Schussrichtungen für Artillerie und Infanterie dargestellt sind, könnte zumindest die 12 6-Pfünder bestätigen:


Leider ist es mir noch nicht gelungen, die Angabe "6-Pfünder" zu präzisieren. Da die Festung Germersheim 1855 baulich fertiggestellt wurde, gehe ich nicht davon aus, dass es sich um die 6-Pfünder-Feldkanone C/61 gehandelt hat, die erst einige Jahre später eingeführt wurde.

Im obigen Plan habe ich ein Gebilde in der Spitze mit einem Fragezeichen markiert; im ersten Plan ganz oben ist es rot hervorgehoben. Es scheint sich um ein kleines Gebäude gehandelt zu haben; was genau seine Funktion war (Untertretraum? Geschützschuppen?) und ob es sich um ein gemauertes oder um ein passageres Gebäude handelte, konnte ich bisher nicht in Erfahrung bringen, ebensowenig, ob es heute noch existiert. 

Wie bereits erwähnt, ist das Kreuzblockhaus heute leider in Privatbesitz, und es ist mir bisher leider nicht gelungen, es näher in Augenschein zu nehmen. Bis vor einiger Zeit war es bewohnt, und es wurden sowohl im Inneren als auch außen Veränderungen vorgenommen. Die folgenden Aufnahmen aus dem Jahr 2017 hat mir freundlicherweise Herr Erich Fleischer, Gästeführer der Stadt Germersheim, zur Verfügung gestellt. Ich möchte Herrn Fleischer an dieser Stelle recht herzlich für seine Hilfe bei meinen Recherchen danken; außer den Fotos hat er mir auch die meisten Pläne und Unterlagen zu Verfügung gestellt, auf die sich meine Ausführungen beziehen.

Zuerst ein paar Aufnahmen von Flügel 1:


Die Satellitenschüssel deutet auf die frühere wohnliche Nutzung hin:


Die Stirnseite eines der Flügel 1, 2 oder 3:


Die Türöffnung im Obergeschoss auf dem nächsten Foto dürfte nachträglich an der Stelle einer Schießscharte herausgebrochen worden sein. Das Gleiche vermute ich auch für die Türöffnung im Erdgeschoss; auf keinem der mir vorliegenden Pläne ist hier eine Tür eingezeichnet.


Die folgenden beiden Aufnahmen zeigen eins der beiden Originaltore (Flügel 2):





Nun zwei Fotos des Originaltors in Flügel 3, das glücklicherweise erheblich besser erhalten ist das das Tor in Flügel 2. Die weiße Farbe auf dem Mauerwerk um das Tor herum ist übrigens der Innenanstrich des früheren Anbaus B, der leider mittlerweile verschwunden ist, was für eine Holzbauweise spricht.



Auch bei Flügel 4 ist der Innenanstrich von Anbau B noch sichtbar, dort sogar viel deutlicher. Auch die Mauerwerksfuge, in die das Schrägdach eingesetzt war, ist erkennbar:





Abschließend die Stirnseite von Flügel 4 mit der Werksnummer:


Innenaufnahmen des Kreuzblockhauses habe ich leider nicht. Es gibt eine Website mit einigen Impressionen aus dem Inneren, die allerdings keinen rein dokumentarischen, sondern einen künstlerischen Fokus hat.

Bleibt abschließend zu sagen, dass die Lünette 83 ob ihres Erhaltungszustands ein bemerkenswertes Bauwerk ist. Leider nagt der Zahn der Zeit aber auch deutlich an diesem militärhistorisch äußerst wertvollen Relikt; ich hoffe, dass man in Germersheim den Wert der Lünette erkennt und sie durch geeignete Maßnahmen für die Nachwelt bewahrt. Unter Denkmalschutz steht sie zum Glück bereits.

Für mich persönlich vermittelt die Lünette 83 auch ein gutes Bild, wie das verschwundene Kreuzblockhaus des Friedenspulvermagazins Oberhaunstadt bei Ingolstadt einmal ausgesehen haben könnte. Das dortige Kreuzblockhaus war mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit nur eingeschossig und hatte nur ca. 2/3 der Größe der Lünette 83, hatte aber definitiv einen ähnlichen Grundriss. 

2 Kommentare:

  1. Dankeschön für aufschlussreiche Doku. Am unteren Eingang zur Stadt gewandt liefen drei unterirdisch Gänge ab. Einmal Fronten Becker, zur Fronten Schmaus und zur Seysselkaserne. Als Ergänzung

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  2. Vielen Dank für diese interessante Information! Ich gäbe viel darum, ich könnte mir die Lünette mal ausführlich ansehen, vor allem von innen. Sie haben nicht zufällig einen Tipp, an wen ich mich dafür wenden könnte? Meines Wissens ist die Lünette Privatbesitz, aber ich konnte den Besitzer noch nicht ausfindig machen. Kontakt gerne auch per Mail an info@tavannes.de

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