(Wiederhergestellter Post vom 21.04.2017 aus dem alten Tavannes-Blog)
Heute vor genau 61 Jahren ereignete sich ein Unglück im Fort de Tavannes, dessen genauer Hergang lange Zeit relativ unklar war: Das Verschwinden eines amerikanischen Soldaten in den 50er Jahren, den man nach tagelanger Suche schließlich tot in einem Schacht fand.
Auf einer Seite im Internet, die heute leider nicht mehr existiert, gab es dazu den Erlebnisbericht eines Soldaten, der an der Suchaktion beteiligt war; die Geschichte ist als „Dick’s Story“ bekannt geworden.
Dick erzählte, wie er auf der Suche nach dem verschwundenen Soldaten in einen Schacht heruntergelassen wurde; ein Foto zeigte ihn vor einer Scharte zur nördlichen Caponnière, die heutzutage deren einzigen Zugang darstellt.
Gefunden hat er den Soldaten dort nicht und war auch nicht mehr weiter in die Suche involviert; erst später erfuhr er von der Bergung des Soldaten und dem, was ihm angeblich zugestoßen war:
Der Soldat sei in einen Lüftungsschacht gefallen, habe den Sturz überlebt, sei in der Dunkelheit noch 30 bis 60 Meter orientierungslos weitergekrochen und schließlich in eine tiefe Zisterne auf einer Seite des Tunnels gestürzt.
Ein Schacht mit einem Tunnel und einer Zisterne? Diese Angabe hat mich irritiert, seit ich den Bericht Ende der 1990er Jahren zum ersten Mal gelesen habe. Im Fort de Tavannes gibt es zwei tiefe Schächte, einen in der Zentralcaponnière und einen in der nördlichen Schultercaponnière. Beide dienten dazu, bestimmte Funktionselemente an das Stollensystem unter dem Fort anzubinden, aber eine Zisterne im Stollensystem schien mir ziemlich unplausibel.
Anfang dieses Jahres stieß ich durch Zufall auf etliche Zeitungsartikel, die 1956 über den Vorfall berichteten, zunächst in zwei Ausgaben der französischen Tageszeitung „Le Parisien libéré“ (aus einem der Artikel stammt der Titel dieses Blogbeitrags), dann auch im europäischen Stars And Stripes Magazin sowie einigen regionalen Tageszeitungen aus den USA, Kanada und den Niederlanden.
Dort stellte sich zusammengefasst die Sache etwas detaillierter dar als in „Dick’s Story“:
Am 21. April 1956 besuchte der 22-jährige Specialist 2nd class Gerald H. Dunnigan, Com Z Advance Section Verdun, mit seiner Frau Barbara das Fort de Tavannes. Er besichtigte zunächst einen (Zitat) „Maschinengewehrturm“ (Anm.: wohl eine der Pamart-Kasematten), stieg dann, während seine Frau vor dem Fort wartete, in den Fortgraben hinab, betrat eine Caponnière, brach dort durch die morsche Bretterabdeckung eines Schachts und stürzte 24 Meter in die Tiefe. Der Sturz brach ihm den Schädel; der Tod muss sofort eingetreten sein. Einige Zeitungen berichteten darüber hinaus, am Grund des Schachts sei er abgeprallt und weitere 4 – 5 Meter gefallen, offensichtlich in einen weiteren Schacht.
Dunnigan habe das Fort in „Freizeithose und Sporthemd“ erkundet, heißt es; seine einzige Lichtquelle sei ein Feuerzeug gewesen. (Diese „Ausrüstung“ steht übrigens in einem gewissen Widerspruch zu einer anderen Aussage, wonach Festungserkundungen als sein Hobby bezeichnet werden.)
Das Militär suchte mit großem Aufwand nach ihm (angeblich waren 400 Mann an der Suche beteiligt), fand ihn aber erst am Morgen des 26. April.
Das folgende Foto war in mehreren Zeitungen abgebildet; es zeigt angeblich, wie sein Leichnam auf einer Bahre aus dem Fort getragen wird. Es gibt allerdings auf dem Weg zwischen Nordcaponnière und Ausgang keine Stelle, die der abgebildeten gleicht; möglicherweise handelt es sich um ein gestelltes Foto :
In einer Zisterne ertrunken ist Gerald Dunnigan also nicht, aber in einen zweiten Schacht gestürzt. Ein Schacht im Schacht? Die folgende Hypothese könnte das erklären:
Unglücksort war mit einiger Sicherheit die nördliche Schultercaponnière. Der dortige Schacht wurde im Rahmen der „Travaux de 17“ zunächst als Arbeitsschacht angelegt, um die nördliche Pamart-Kasematte an das Stollensystem unterhalb der betonierten Kaserne anzuschließen; der Durchbruch in beide Richtungen fand allerdings nie statt.
Daneben sollte aber auch eine unterirdische Verbindung zwischen Fort und Tunnel de Tavannes hergestellt werden. Man arbeitete dazu von 3 Seiten aus:
- Von einer Wartungsnische im Eisenbahntunnel aus wurde ein Stollen in Richtung Fort vorangetrieben
- Ungefähr mittig zwischen Fort und Tunnel wurde ein Schacht angelegt, von dessen Boden aus in Richtung des Forts gegraben wurde
- Von der Nordcaponnière aus sollte in Richtung dieses Schachts bzw. des Tunnels gegraben werden.
Zwei dieser drei Baustellen konnten wir vor einigen Jahren verifizieren: Der Stollen vom Eisenbahntunnel aus wurde ca. 200 Meter vorangetrieben, dann wurden die Arbeiten eingestellt. Der Schacht in der Mitte existiert heute noch, ist allerdings zu einem guten Teil verfüllt.
Die Baustelle in der Nordcaponnière lässt sich in der Praxis vernünftigerweise nicht verifizieren, da ein Abstieg in den dortigen Schacht lebensgefährlich wäre, nicht zuletzt wegen der instabilen Wände.
Der folgende Plan aus dem Jahr 1927 dürfte das Ausbaukonzept unter der Nordcaponnière einigermaßen korrekt darstellen:
Legende:
- Nördliche Pamart-Kasematte
- Nördliche Schultercaponnière mit Schacht
(Quelle: Commandant Tournoux - Cours de Fortification, 3e Partie, Fortification Permanente, 3e Section “La fortification permanente pendant la guerre de 1914 – 1918”, Planches. Lithographie de l’école militaire et d’application du genie, 1927.)
Der Verbindungsstollen zwischen Fort und Eisenbahntunnel hat allerdings folgendes Problem:
Das Gleisniveau im Eisenbahntunnel liegt ca. 60 Meter unter dem Bodenniveau der Caponniere; abzüglich 24 Metern Schachttiefe bedeutet das, dass ein Verbindungsstollen einen Höhenunterschied von gut 36 Metern auf einer Distanz von 360 Metern überwinden müsste. Die Steigung in dem im Tunnel beginnenden Stollen haben wir bisher nicht ausgemessen; sie beträgt aber auf jeden Fall deutlich weniger als 10%, dürfte sogar unter 5% liegen.
Einzige andere Möglichkeit, den Höhenunterschied zu kompensieren, wäre ein zweiter, tieferer Schacht unter der Nordcaponnière, und genau damit wäre das „Schacht-im-Schacht“-Prinzip, das in der Presse beschrieben ist, plausibel. Die angegebene Tiefe von lediglich 4 – 5 Metern und das Fehlen eines Hinweises auf begonnene Stollen vom Boden des zweiten Schachtes aus würden dafür sprechen, dass auch hier die Arbeiten eingestellt wurden, bevor der Schacht die nötige Tiefe erreicht hat. Der obige Plan wäre dann an dieser Stelle falsch, die rote Linie in Richtung Eisenbahntunnel müsste dann schon vom Schacht an gestrichelt sein.
Die nachfolgende Skizze (nicht maßstabsgetreu) verdeutlicht das Schacht-im-Schacht-Konzept:
Diese Hypothese zu belegen wird nicht ganz einfach, da eine Erkundung des Schachts wiegesagt nicht in Frage kommt. Teilnehmer der Suche nach Gerald Dunnigan zu befragen dürfte wenig erfolgversprechend sein, schon alleine weil etliche zwischenzeitlich verstorben sind. Bereits 2001 stand ich in Kontakt mit besagtem Dick / Richard aus dem eingangs erwähnten Erlebnisbericht. Er scheint sich am Boden des Schachts nicht wirklich weit von der Stelle bewegt zu haben und war auch nur mit einer sehr schwachen Lampe ausgerüstet. Das einzige Detail, an das er sich lebhaft erinnerte, waren Schienen, die da unten verliefen; von einem zweiten Schacht wusste er nichts. Erneut befragen kann ich ihn leider nicht mehr; er ist 2016 gestorben.
Ein Update zu diesem Artikel gibt es hier.
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