Die Feste
Kaiser Wilhelm II auf dem Bergzug nördlich von Mutzig und Molsheim wurde in
ihren wesentlichen Bestandteilen zwischen 1893 und 1906 errichtet. Es zeigte
sich aber schnell, dass diese Anlage alleine nicht ausreichte, um den
Nordwesten Straßburgs ausreichend zu schützen. Das deutsche Militär ging davon
aus, dass es den Franzosen gelingen könnte, über Zabern (heute Saverne) vorzustoßen, sich
hinter dem Kochersberg zu sammeln und von dort aus in Richtung Straßburg zu
marschieren. Die Breusch-Stellung würde dann überrannt werden. Eine weitere
Vorstoßmöglichkeit bestand aus Richtung Wasselnheim (heute Wasselonne) -
Kronthal („Wasselnheimer Loch“ oder „Wasselonne-Lücke“ genannt).
Die Feste
Kaiser Wilhelm II konnte zwar mit ihren Geschützen den Kochersberg
kontrollieren, war jedoch nach Ansicht des deutschen Stabes von Norden her
relativ verwundbar. Man befürchtete, dass französische Truppen von hier aus in
den Rücken der Festung vordringen und sie einnehmen könnten, was für ihren
Vorstoß von Zabern aus wichtige Vorteile bringen würde.
Dazu kam,
dass speziell der Hügelzug Aussichtsberg – Scharrachberg – Sulzberg eine
ausgezeichnete Aussicht auf das deutsche Verteidigungssystem von der Feste
Kaiser Wilhelm II bis Straßburg bot, weswegen diese Hügel auf keinen Fall in
französische Hände fallen durften.
Der
ursprüngliche Plan, auf dem Scharrachberg und dem Goeftberg (nordöstlich von
Wasselonne) weitere Festungen zu errichten, wurde aufgegeben; man entschied
sich stattdessen dafür, im Kriegsfall den Scharrachberg (oder kurz „Scharrach“
genannt) mit Verteidigungsanlagen auszustatten. Da das alleine für unzureichend
gehalten wurde, umfasst die geplante Armierung bald auch den Aussichtsberg, den
Sulzberg und den Dangolsheimer Rücken.
In dieser
Abhandlung werde ich mich mit dem sogenannten Armierungsabschnitt Scharrach
befassen, also den 3 Hügeln Aussichtsberg, Scharrachberg und Sulzberg.
Mit über 300
Metern Höhe ist der Scharrach der höchste der drei, gefolgt vom Sulzberg und
dem Aussichtsberg, der gut 60 Meter niedriger ist.
Der Abschnitt
wurde tatsächlich erst 1914 nach der Mobilmachung armiert, angesichts der
französischen Offensive im Breusch-Tal bei Schirmeck (ca. 20 Kilometer
südwestlich der Feste Kaiser Wilhelm II) in besonderer Eile. Die Landschaft
wird massiv verändert; die Hügel sind vor allem auf den steilen feindseitigen
West- und Nordhängen von Schützengräben durchzogen und mit Infanteriewerken,
Beobachtungsständen und verschiedensten Bunkern bedeckt. Ihre weniger der
Feindeinwirkung ausgesetzten Süd- und Ostseiten fallen sanft in Richtung der
Breusch-Terrassen ab, wo ein gutes Straßennetz den Transport von Truppen und
Material ermöglicht. 10- und 15cm-Batterien werden ebenfalls an den Süd- und
Osthängen in Stellung gebracht.
Das auf dem
Scharrachberg befindliche Hotel bot der französischen Artillerie einen hervorragenden
Richtpunkt:
Der Besitzer
bekam eine großzügige Entschädigung, und am 15. August wurde das Hotel dem
Erdboden gleich gemacht.
Nachdem die
Franzosen ihre Offensive eingestellt hatten, trat ab September 1914 im
Scharrachbergabschnitt wieder Ruhe ein. Die Artillerie wurde abgezogen, es gab
kaum noch Kampftruppen. Kämpfe sah der Abschnitt nicht.
Auch wenn
viele Armierungselemente seither verschwunden sind, hat der Scharrachbergabschnitt
dem fortifikatorisch Interessierten enorm viel zu bieten. Nach zwei Begehungen
in diesem Jahr ist mir klar geworden, dass ich allenfalls an der Oberfläche
dessen gekratzt habe, was es dort zu sehen und noch zu entdecken gibt.
Frustrierend
war zunächst die Erkundung des Sulzbergs nordöstlich von Soultz-les-Bains. Was
ich im Vorfeld an Karten fand, schien auf den ersten Blick recht
vielversprechend; nachfolgend habe ich die wichtigsten Einrichtungen in eine
Karte von Open Street Maps (©) übertragen:
Das
interessanteste Objekt ist der große Infanterieraum an der Nordwestecke. Um
seine genaue Position zu bestimmen, konsultierte ich in gewohnter Manier
zunächst das digitale Geländemodell:
Leider haben
die für die Region frei erhältlichen DGM-Daten nur eine äußert schlechte
Auflösung; für eine Lokalisierung von Bunkern und ähnlichen Objekten sind sie
nur in seltenen Fällen brauchbar. Den Infanterieraum konnte ich so nicht
lokalisieren, weiß aber mittlerweile dennoch, wo er liegt – leider mitten in
dem Steinbruch, der einen großen Teil des Sulzbergs einnimmt, dessen Betreten
laut inflationär angebrachter Beschilderung streng verboten ist und der (laut
eben diesen Schildern) mit Videokameras überwacht wird. Ich habe den Sulzberg
daher bislang bei meinen Begehungen nicht berücksichtigt. Wer weiß – vielleicht
gelingt es mir ja noch, einen Kontakt zum Steinbruchbetreiber aufzubauen und
eine Erlaubnis zu erwirken.
Hier
vollständigkeitshalber ein Plan des Infanterieraums:
Auch für den
Scharrachberg gibt das digitale Geländemodell nicht viel her:
Wie
beschrieben ist diese Erhöhung gespickt mit Armierungselementen. Der folgende
Plan zeigt den Scharrach- und den Aussichtsberg:
(© Open
Street Maps Mitwirkende)
Um den Hügel
herum wurden 7 Infanterieräume, mindestens 2 MG-Kasematten, 2 Batterien mit
Munitionsräumen, ein Brunnenbunker zur Wasserversorgung des Abschnitts, etliche
andere Bunker, Schützengräben mit Betonunterschlupfen und betonierte gedeckte
oder unterirdische Passagen angelegt. Auf der Hügelspitze liegt der
Gefechtsstand des Abschnitts, im Nordwesten umgeben von Artilleriebeobachtern.
Das Fundament des abgerissenen Hotels wurde zu zwei Zisternen umgebaut.
Die rot
hervorgehobenen Elemente habe ich bisher besucht – wie bereits erwähnt, ein
erstes Kratzen an der Oberfläche!
Der
interessanteste Teil des Scharrachbergabschnitts ist die Westflanke mit ihrer
ausgeklügelten Staffelung von Verteidigungselementen. Vorgelagert war ein
Stacheldrahtfeld mit Postenunterschlupfen, gefolgt von einem mit vielen
betonierten Unterschlupfen versehenen Kampfgraben, stellenweise durch einen
zweiten Graben verstärkt. In der Spitze, am Nordende und möglicherweise auch am
Südende des Kampfgrabens befanden sich Kasematten für jeweils 2
Maschinengewehre. Die Grabenbesatzungen waren in 3 Infanterieunterständen
untergebracht, die über gedeckte oder unterirdische Passagen erreicht werden
konnten.
Die mir
vorliegenden Pläne dieses Abschnitts sind leider nicht besonders präzise;
Abstände, Maßstäbe und Lokalisierung einzelner Elemente stimmen nicht oder sind
nur sehr grob. Ich habe versucht, die wesentlichen Elemente in ein Luftbild von
Google Maps © zu übertragen:
(1 = MG-Kasematte, 2 = Infanterie-Unterschlupf)
Alles, was
rot eingezeichnet ist, ist mehr oder weniger spekulativ; die beiden gelb
hervorgehobenen Objekte habe ich besucht.
Zunächst kurz
etwas zu den Infanterieräumen. Sie folgten einem einheitlichen Design:
Sie wiesen 8
bis 13 Räume auf und hatten keine eigene Wasserversorgung; der Brunnenbunker an
der Südostflanke des Scharrachbergs und die beiden Zisternen versorgten den
gesamten Abschnitt zentral.
Ich wollte
mir im August mindestens einen der Infanterieräume der Westflanke ansehen,
musste mich allerdings der übermächtig dichten Vegetation geschlagen geben,
hinter der sie sich verbergen:
Bei 30°C in
kurzen Hosen und ohne geeignetes Werkzeug nicht zu machen!
Was allerdings
aufgrund seiner Lage mitten im Weinberg hervorragend zu begehen war, war die zentrale
MG-Kasematte des vordersten Kampfgrabens. Hier die Bunkeroberseite mit Blick
nach Westen:
Die
talseitige Bunkerwand:
An dieser
Stelle zunächst ein Plan des Bunkers, um die folgenden Fotos besser verstehen
zu können:
Der Bunker
ist leider teilweise verschüttet. Der nördliche Eingang ist noch auf ca. halber
Höhe zugänglich, der östliche Eingang ist komplett übererdet, ebenso die
östliche MG-Scharte; nur die westliche Scharte ist frei:
Hier die
nördliche Eingangsseite; der Vorbau des Eingangs wurde abgetragen:
Nahaufnahme
vom Eingang; man erkennt die Reste einer hölzernen Tür im Inneren:
Das Innere
des Bunkers ist unspektakulär; er ist mit den obligatorischen Graffitis verunstaltet
und wurde in der Vergangenheit offenbar zur Entsorgung von allerlei Materialien
wie z.B. Rohren missbraucht. Der Bereich des östlichen Eingangs ist mit Erde
angefüllt.
Die
Schartenseite nach Süden:
Nahaufnahme
der westlichen Scharte:
Ansonsten ist
in den Weinbergen wenig von der Armierung zu sehen. Ich habe ein Farbfoto
gesehen, auf dem die Dächer einer ganzen Reihe von Betonunterschlupfen
freilagen, vermutlich ein Teil des Hauptkampfgrabens. Offenbar wurden diese Kleinbunker
mittlerweile entweder übererdet oder gar entfernt.
Lediglich ein
Unterschlupf des dem Infanterieraum 7 vorgelagerten Kampfgrabens ist am Wegrand
noch erkennbar:
Diese
Unterschlupfe hatten einen anderen Aufbau als die, die ich z.B. an der
Rebbergstellung vorgefunden habe, wie der folgende Plan zeigt:
Mindestens
eine der gedeckten oder unterirdischen Passagen ist noch zugänglich, liegt aber leider ebenfalls im
Dickicht.
Auf dem
Gipfel des Scharrachbergs habe ich mir den Gefechtsstand angesehen. Er ist
weiträumig von einem tiefen Graben umgeben, zu dem eine kurze überdeckte Passage führt:
Der
Gefechtsstand folgt dem Prinzip, das z.B. in den „Vorschriften für den
Stellungskrieg für alle Waffen – Teil 1b – Einzelheiten über den Stellungsbau“
vom 15. Dezember 1916 umrissen ist:
„Gefechtsstände
sollen möglichst klein sein, damit sie geschickt dem Gelände angepasst werden
können. Sie sind deshalb nicht gleichzeitig als Wohnunterstände der Stäbe
einzurichten.“
Hier der
Plan:
Es handelt
sich um einen kleinen, kompakten Bunker in an sich hervorragendem Erhaltungzustand.
Leider ist er offenbar zu einfach zugänglich, denn er ist innen und außen mit
Graffitis verunstaltet; auch schien im Inneren irgendwann einmal ein großes
Feuer gebrannt zu haben.
So sieht es auf der Oberfläche aus:
Nach den Artilleriebeobachtern
habe ich noch nicht gesucht.
Am nördlichen
Ortsrand von Dahlenheim befindet sich ein Objekt, das ebenfalls zur Armierung
des Scharrachbergs gehört, obwohl es etwas weiter entfernt ist. Dort waren zwei
15cm-Feldhaubitzen-Batterien positioniert:
Von den Batterien
ist heute nichts mehr zu sehen, wohl aber vom dazugehörigen Munitionsraum 1.
Hier zunächst
das obligatorische Bodenrelief:
Der rote
Pfeil markiert den Munitionsraum, der allenfalls zu erahnen ist. Alleine
aufgrund dieser Darstellung würde man einen größtenteils verschütteten Bunker
erwarten; die Realität sieht allerdings völlig anders aus:
Der
Munitionsraum befindet sich in einem exzellenten, fast besenreinen Zustand und
ist vollständig begehbar; beide Eingänge sind ebenerdig offen.
Vor den Eindrücken vom Inneren zunächst ein Plan:
Durch den
Gang führte eine Schmalspurbahn, über die die Batterien mit Munition versorgt
wurden.
Der Zustand
dieses Munitionsraums ist wirklich bemerkenswert. Selbst die
Wellblechverkleidung der Räume wirkt fast wie neu, und es gibt keine Graffitis.
Ich vermute, dass die Gemeinde den Bunker für Besucher hergerichtet hat und ihn
unterhält; dafür spricht auch, dass sich vor dem Bunker ein Picknicktisch mit
Bänken befindet und dass am westlichen Eingang ein Abfalleimer aufgestellt ist.
Fährt man vom
Munitionsraum 1 auf der D818 in Richtung Scharrachbergheim-Irmstett, fällt
einem linkerhand auf dem Hügel hinter dem Ort – dem Aussichtsberg – ein Betongebilde
auf. Es handelt sich um den Infanterieraum auf der obigen Karte.
Er gehört zu
den wenigen Armierungselementen, die im Bodenrelief einigermaßen gut zu
erkennen sind (roter Pfeil):
Sein Aufbau
weicht ein wenig von den anderen Infanterieräumen des Abschnitts ab; zum einen
ist er relativ klein, zum anderen sind die Funktionalitäten spiegelverkehrt
angeordnet:
Ganz links
ist die Küche mit ihrer großen Einbringöffnung für eine Feldküche:
Die
Einbringöffnung konnte mit Betonelementen oder Stahlträgern
verschlossen werden; hier die Versatzfalze:
Ganz rechts
sind die Latrinen; die Toilettenschüsseln sind leider verschwunden bzw.
zerstört:
Weitere
Eindrücke aus dem Inneren:
Auf der
Außenseite fallen einem sofort massive Schäden auf:
Von Nahem
zeigt sich, dass es sich um Explosions- und Beschussspuren handelt:
Da im 1.
Weltkrieg hier nicht gekämpft wurde, dürften diese Schäden aus dem 2. Weltkrieg
stammen.
Ich hoffe,
ich kann im nächsten Jahr in der vegetationsarmen Zeit nach Straßburg
zurückkehren, um den Scharrachbergabschnitt erneut zu untersuchen.