Ein Sprichwort sagt: Es ist nichts so schlecht, als dass es nicht auch für irgendwas gut wäre. Wie wahr das ist, erfuhr ich an einem Aprilwochenende 2006, als mich meine damalige Firma auf eins dieser leidigen Offsite-Meetings nach Welschnofen in Südtirol schickte. Auf der Suche nach möglichen Attraktionen der Gegend stieß ich schnell auf die zahlreichen Kriegsschauplätze der Dolomitenfront des ersten Weltkriegs und beschloß, jede sich bietende Gelegenheit an diesem Wochenende zu nutzen, mich da einmal umzuschauen. Hier der Bericht meines damaligen Ausflugs zur Forte Someda:
Sonntag, 8. April 2006
Um 16:30 in Welschnofen losgefahren. Strecke: Karerpaß –
Vigo die Fassa – Moena – Someda, ungefähr 25 km.
Wo Moena aufhört und Someda anfängt, ist
schwer auszumachen. Man folgt dem Hinweisschild „Someda“, kommt an einem
himmelblau angestrichenen Hotel namens Someda vorbei – und befindet sich
plötzlich am Ende der Welt. Nun ja, zumindest macht es den Eindruck, weil die
Ortsdurchfahrt von Someda diese Bezeichnung eigentlich nicht verdient; sie schlängelt
sich als knapp einspuriger Weg zwischen den paar armseligen Häuschen hindurch, wird
immer schmaler und führt in bedenklicher Weise an einer Böschung entlang – und
plötzlich ist man außerhalb des Ortes. Ein paar Meter vor sich ein
Hinweisschild „Durchfahrt verboten, Steinschlag!“ Da nimmt man die Gelegenheit
eines Stopps auf einem Parkplatz mit Wanderkarte gerne wahr, um sich erstmal zu
orientieren. Laut Kompass-Karte müßte hier irgendwo das Fort sein – doch wo?
Ich steige erstmal aus und gehe den
gesperrten Weg entlang um eine vom Parkplatz aus nicht einsehbare Kurve, um mir
einen Überblick zu verschaffen. Was sehe ich an einem Waldrand? Eine alte Burg.
Oder ... ? Ich komme näher und werde mit freudigem Geblöke von ein paar Schafen
in einem Gatter begrüßt, die mich für ihren Futterlieferanten halten. Mein
Interesse ist jedoch vollkommen gefangen von dem Objekt, das ich zunächst
irrtümlich für eine Burg gehalten hatte. Es sieht merkwürdig aus: Aus dunklen
Steinblöcken massiv gebaut, die Fassade ist jedoch durch etliche Fenster
aufgelockert, und an der rechten Ecke erkennt man so etwas wie eine Ecknische,
die spontan die Assoziation weckt, es könnte einmal eine Heiligenstatue darin
gestanden haben.
Ich habe Fort Someda gefunden, es sieht allerdings komplett anders aus, als ich es mir vorgestellt hätte. Deutsche, französische, niederländische Forts aus dem späten 19. Jahrhundert, sie sehen alle irgendwie ähnlich aus. Dieses Fort hier, erbaut 1899 als Gebirgsfort zweiter Generation nach Feldmarschalleutnant Vogl, wirkt wirklich eher wie eine alte Burg oder ein Schloß als wie ein Artilleriefort:
Wo andere europäische Festungen dieser Epoche
tief in den Boden gegraben sind, sich trutzig und wehrhaft hinter mächtigen
Wällen mit vorgelagerten Gräben verstecken und infolge des Schocks der
Brisanzmunitionskrise betonverstärkt und panzerkuppelbewehrt sind, wirkt Someda
durch seine hochaufgerichtete Bauweise, frei in der Landschaft stehend,
aufgelockert durch viele Fenster, geradezu filigran. Es ist auch nicht
besonders groß, und es scheint über keinerlei Nahverteidigungsmöglichkeiten zu
verfügen. Da es sich laut Hinweisschildern in Privatbesitz befindet, konnte ich
es leider nicht näher inspizieren, aber irgendwelche Caponnieren, Grabenwehren
oder Infanteriescharten konnte ich beim Umrunden nicht ausmachen.
Über dem Tor scheint das Fort ursprünglich so
etwas wie eine Treppe aufs Dach gehabt zu haben; die Spuren der Treppe, u.a.
aus der Fassade herausragende Doppel-T-Träger, sind noch gut sichtbar. Die
Treppe schien frei an der Gebäudeaußenseite nach oben zu führen, was wiederum
für ein Artilleriefort ungewöhnlich ist. Ich vermute, daß es im Inneren noch
ein Treppenhaus gibt.
Die ehemaligen Geschützbettungen oder Panzerkasematten (man kann das nicht mehr erkennen) befanden sich wohl auf der Hinterseite des Forts, hier gibt es auch einen kleinen talwärtsführenden Graben. Von den Geschützbettungen ist außer einem betonierten Zugang nichts mehr zu erkennen; es sieht so aus, als ob hier zur Rohmaterialgewinnung gesprengt worden wäre.
Obwohl Someda so ungewöhnlich ist – oder aber
vielleicht gerade deshalb – habe ich mir fest vorgenommen, es bei passender
Gelegenheit näher unter die Lupe zu nehmen; vielleicht ist es ja möglich,
irgendwie mit dem Besitzer in Kontakt zu treten. Das Tor ist mit einer
metallenen Tür, Kette und Vorhängeschloß gesichert, alles wirkt sauber und
ordentlich, das Fort scheint als Lager genutzt zu werden. Dieser Gesamteindruck
stimmt zuversichtlich, es mit einem Besitzer zu tun zu bekommen, der sich einer
seriösen Besichtigung möglicherweise nicht in den Weg stellt.
Nach einer Dreiviertelstunde verlasse ich
Someda wieder und mache mich auf den Heimweg ins Hotel.
Die GPS-Koordinaten des Forts sind: N
46.37493, E 011.67415; 1275 m ü.M.
Seit meinem Besuch habe ich natürlich mehr Informationen zur Forte Someda gesammelt.
Das zweigeschossige Werk, auf Deutsch „Sperre Moena“ genannt, wurde zwischen 1897 und 1900 aus Granit-Blocksteinen erbaut; die Decke bestand aus Beton. Es wurde durch einen 12 Meter breiten Drahtverhau und durch Minenfelder geschützt. Zum Tal hin gab es 14 Nahverteidigungsscharten.
Sieben Scheinwerfer, davon drei fest verbaute Acetylenscheinwerfer und vier versenkbare Scheinwerfer, dienten der nächtlichen Ausleuchtung. Es bestand eine Telefonverbindung zur Kaserne in Moena und zum Werk Dossaccio, ca. 9 km Luftlinie südöstlich gelegen.
Die Hauptbewaffnung bestand aus zwei 150 mm Haubitzen Mod. 80 in Drehkuppeln.
Als Sekundärbewaffnung hatte das Werk zwei 120 mm Kanonen M96 auf Drehlafette in gepanzerten Stellungen, vier Salvator-Dormus-Maschinengewehre M93 und 12 Gewehre auf Gewehrlafetten.
Die Besatzung umfasste 4 Offiziere und 146 Mannschaften.
1915 wurde die Sperre als veraltet eingestuft und die Bewaffnung in Feldstellungen am Passo San Pellegrino in Stellung gebracht.
Der italienische Staat, an den die Festung nach dem 1. Weltkrieg gefallen war, legte sie 1927 still und riss sie 1933 teilweise ab. Heute ist sie in Privatbesitz, wird als Lager genutzt und kann definitiv nur von außen besichtigt werden.
Abschließend noch ein Kuriosum. Im Bildarchiv
der Österreichischen Nationalbibliothek bin ich auf ein Foto vom 27.01.1916
gestoßen, das ich mir nicht erklären kann. Es ist untertitelt „Links oben
Eingang in den Schützengraben, rechts unten Eingang in die Kaverne bei Sperre
Moena“.
Wo sich diese Kaverne befindet und wo der
Schützengraben, konnte ich bisher noch nicht herausfinden. Die Struktur im
oberen Teil des Bildes scheint aus Beton zu bestehen und gehört ziemlich sicher
nicht zur Festung. Das zu klären ist ein weiterer Punkt auf meiner
To-Do-Liste.
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